Mythos Ueberfremdung
Klaviere verwandelten, regenbogenfarbene Beschwörungen kosmischer Liebe. Und in diesen psychedelischen Artefakten konnte man das Geheimnis seines Erfolgs entdecken: Geert Wilders wurde nicht auf einer Plattform der Intoleranz zum drittmächtigsten Politiker der Nieder lande, er rief vielmehr dazu auf, diejenigen nicht zu tolerieren, die ihrerseits die niederländische Lebensart nicht tolerierten. Zufälligerweise sind das ausnahmslos Muslime.
»Es spielt keine Rolle, welche Hautfarbe oder sexuelle Präferenz die Menschen mitbringen, sie sind in unserer Partei alle willkommen, weil wir auf gar keine Weise diskriminieren«, sagte er mir. Seine Partei kam bei der Parlamentswahl vom Juni 2010 mit Wahlaussagen, zu denen auch die Abschiebung von Muslimen und das Verbot des Korans gehör ten, auf einen Stimmenanteil von 15 Prozent. Sie war die erste in einer Reihe antimuslimischer Parteien, die auf dem Höhe punkt der Wirtschaftskrise in Nord-, Mittel- und Westeuropa bedeutende Wahlerfolge erzielten.
Eine Partei, die sich gegen religiösen Extremismus wende, das klinge offen gesagt vollkommen vernünftig, sagte ich ihm. Ob er seine Botschaft auch auf christlichen religiösen Fanatismus ausweiten würde? Wilders geriet bei diesem Hinweis sichtlich in Rage und erwiderte, hier könne es keinerlei Ver gleich geben. »Ich sehe viele Unterschiede zwischen dem Islam und anderen Religionen. Genau genommen sehe ich den Islam nicht so sehr als Religion, sondern als Ideologie. Das Ziel der islamischen Ideologie besteht meiner Ansicht nach darin, die westlichen Gesellschaften zu dominieren und ihrem eigenen Glauben zu unterwerfen, und darin ist sie anders als die anderen Religionen. Der Islam ist nicht einfach ein Ast im Baum der Religionen – sein Platz ist in der Ecke der totalitären Ideologien. Deshalb vergleiche ich ihn mit dem Kommunismus und Faschismus – ich sehe den Vergleich zwischen dem Koran und Mein Kampf .« 1
Anschließend hielt mir Wilders einen Vortrag über das, was er als »al-Hidschra, die islamische Doktrin der Migration« bezeichnet. Nach dieser Doktrin befolgen gläubige Muslime Gebote des Korans, die sie anweisen, in fremde Länder zu ziehen, dort viele Kinder in die Welt zu setzen und als Trojanische Pferde zu agieren mit der Absicht, dereinst kulturell zu dominieren. Diese Vorstellung ist in den Randbereichen der Eurabien-Bewegung populär. Sie hat in erster Linie deshalb keine größere Beachtung gefunden, weil sie mit keinem Wort im Text des Korans belegbar ist und von keinem führenden muslimischen Geistlichen – auch nicht von den radikalen – in Reden oder Schriften befürwortet wurde. Die einzige Ausnahme war der im Oktober 2011 getötete libysche Diktator Muammar Gaddafi, der einst in einer Rede die Muslime aufforderte, Europa durch Migration zu übernehmen. (Gaddafi war alles andere als ein führender Vertreter des Islam, er war hauptsächlich als Verfolger von Islamisten bekannt, die er einsperrte und in großer Zahl umbringen ließ, und außerdem verbot er seinem Volk die Auswanderung.)
Solche Lücken in seiner Argumentationskette hinderten Wilders nicht daran, ein sehr erfolgreicher Politiker zu werden. »Ich glaube, dass wir in der Lage sind, das, was in diesem Land den Mainstream ausmacht, neu zu bestimmen«, erklärte er mir, und in einem gewissen Umfang war er damit bereits erfolgreich – nicht nur in seinem Heimatland.
Gegen Ende des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert erfuhren die Eurabien-Parteien enormen Zuspruch. In Dänemark wurde die Dänische Volkspartei (Dansk Folkeparti, DF) – deren politische Inhalte oft wie Auszüge aus Breiviks Manifest klingen – mit einem Stimmenanteil von 13,9 Prozent (2007) zur drittstärksten Kraft im Parlament. In Finnland brachten es die noch eindeutiger fremdenfeindlich auftretenden Wahren Finnen (Perussuomalaiset, PS) 2011 auf 19,1 Prozent der Stimmen und wurden ebenfalls zur drittstärksten Fraktion im Parlament. Die Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna, SD), deren Programm nahezu ausschließlich antimuslimisch ist, errangen bei den Wahlen von 2010 mit einem Stimmenanteil von 5,7 Prozent ihre ersten Parlamentsmandate überhaupt und zogen mit 20 Abgeordneten in den 349 Volksvertreter zählenden Reichstag ein. Aller landesweiten Empörung über Breiviks Anschläge zum Trotz, hatten auch in Norwegen Ansichten, die denen des Attentäters glichen, den Weg in die Mitte des politischen Spektrums gefunden. Christian Tybring-Gjedde, der Finanz
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