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Mythos Ueberfremdung

Mythos Ueberfremdung

Titel: Mythos Ueberfremdung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doug Sounders
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die sich um Verträge, Scheidungsfragen und andere Dinge streiten, dazu ermutigt, ihre Differenzen untereinander beizulegen, und zwar mithilfe eines unabhängigen Vermittlers (Mediators) aus der Gemeinde, um ein kostspieliges Zivilverfahren oder einen Pro zess zu vermeiden. Der Nutzen für die Regierungen? Die Fallbelastung der Zivilgerichtsbarkeit und die steil ansteigenden Kosten des Justizwesens verringern sich. Die streitenden Parteien oder Ehepaare, die eine Scheidung, ein Urteil in einem Erbfall oder eine Regelung beim Sorgerecht für gemeinsame Kinder anstreben, kommen auf diesem Weg oft zu einer befriedigenden Lösung, nur eben ohne die Feindseligkeit, die Komplexität und die Kosten, die mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung verbunden sind. Schon bald bemühten sich auch religiöse Führer, deren Vorgänger schon seit Jahrhunderten in solchen Angelegenheiten Entscheidungen gefällt hatten und die selbst oft ihre eigenen religiösen Gebote über die Gesetze der Zivilgesellschaft stellen, um einen Platz in diesem System. Anfang der 1990er-Jahre wurden in Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten jüdische und katholische Gerichte nach den Vorgaben dieser Gesetze eingerichtet. Die Öffentlichkeit nahm von ihrer Tätigkeit keine Notiz, aber einige Rechtsexperten zeigten sich besorgt, dass diese Gremien religiös motivierten Entscheidungen, die nicht zu den Werten einer säkularen Gesellschaft passten, offizielle Legitimität verschaffen würden. Die unter der Bezeichnung Beth Din (Haus des Gerichts, Gerichtshof) bekannten Rabbinatsgerichte erkennen eine Form der religiösen Scheidung an, bei der der Ehemann seiner Frau einen in aramäischer und althebräischer Sprache verfassten Get (Scheidebrief) übergibt, in dem die Ehe für beendet erklärt wird.
    Es war unumgänglich, dass religiöse Muslime dieselben Schiedsgerichtsdienste anbieten wollten wie Christen und Juden. Ihren ersten und brisantesten Vorstoß in dieser Angelegenheit unternahmen sie in der kanadischen Provinz Ontario. Der Arbitration Act (Gesetz über Schiedsgerichte) von 1991 ermächtigte auf Familienbeziehungen basierende Gerichte, die von katholischen und jüdischen religiösen Autoritäten betrieben wurden, zu Urteilen über Scheidungs-, Erbschafts- oder Sorgerechtsfragen, sofern diese nicht im Widerspruch zu kanadischen Gesetzen standen. Muslimische Organisationen bemühten sich im Jahr 2003 um eine Erweiterung des Gesetzes auf ihren Glauben und schlugen als Entscheidungsgremium ein »Islamic Institute of Civil Justice« (Islamisches Institut für Zivilgerichtsbarkeit) vor. Die Provinzregierung, von lautstarken Protesten beunruhigt, die von Konservativen, christlichen Aktivisten und einigen säkular orientierten Muslimen ausgingen, beauftragte die ehemalige Justizministerin Marion Boyd mit ei ner Untersuchung des Anliegens. Ihr 2004 vorgelegter Bericht empfahl der Regierung, die muslimischen Gerichte zuzulassen, und begründete dies unter anderem damit, es könnte gegen die Verfassung verstoßen, nur Christen und Juden solche Gremien zu gestatten. Die Proteste wurden heftiger und zogen die Aufmerksamkeit der internationalen Medien auf sich.
    Dalton McGuinty, der Premierminister der Provinz Ontario, verkündete im September 2005 nach einem von hitzigen Debatten geprägten Jahr, es werde »kein Scharia-Recht in Kanada geben«, und zog eine scharfe Trennlinie zwischen Kirche und Staat, indem er allen auf religiöser Grundlage beruhenden Entscheidungen die Rechtsgültigkeit absprach und so das 14 Jahre dauernde Experiment mit staatlich anerkanntem religiösem Recht beendete. Katholische und jüdische Organisationen taten sich daraufhin umgehend mit muslimischen Gruppen zusammen und begannen mit der Lobbyarbeit für die Wiedereinsetzung der auf Glaubensgrundsätzen beruhenden Schiedsgerichtsverfahren, aber die kanadischen Provinzregierungen zeigten bisher nur wenig Interesse an einem neuen Anlauf.
    Großbritannien gestattet nach wie vor islamische Schiedsgerichtsverfahren, die sogenannten Scharia Councils. Sie begannen mit ihrer Tätigkeit bereits in den 1980er-Jahren, damals organisiert von konservativen Deobandi-Muslimen zur Beilegung von Konflikten innerhalb der eigenen Gemeinschaft. Die Regierung erkannte sie 1996 mit dem Arbitration Act an, der christlichen, jüdischen und muslimischen Schieds gerichten Urteile zu zivilrechtlichen Fragen gestattete. Die Entscheidungen galten als rechtsverbindlich, wenn beide Seiten freiwillig

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