Mythos Ueberfremdung
ausmachen, die jedes Mal in der Literatur und in Wissenschaft und Politik auftauchen, und dann sicherstellen, dass wir diese Fehler nicht wiederholen.
7 Drumont wurde durch seine Theorien zum führenden Ankläger von Hauptmann Alfred Dreyfus im sensationellen Revisionsverfahren von 1899. Als Émile Zola in seinem berühmten offenen Brief »J’accuse« die »Besessenheit vom ›dreckigen Juden‹« als »Geißel unserer Zeit« bezeichnete, bezog er sich im Wesentlichen auf Drumont und seine Anhänger, für die die Dreyfus-Affäre ein politisches Schlüsselereignis gewesen war.
8 Einige Juden hatten in der bolschewistischen Bewegung zwar herausgehobene Positionen inne, aber die Juden waren ebensosehr Opfer wie Täter der Russischen Revolution: Es gab Pogrome, die von Soldaten der Roten Armee verübt wurden.
Vierter Teil Was uns Sorgen bereiten sollte
Was uns Sorgen bereiten sollte
M uslimische Einwanderer in Europa und Nordamerika sind keine Invasionsstreitmacht, keine politische Verschwörung und auch keine demografische Bedrohung, und sie un terscheiden sich nicht von früheren Wellen armer Neuankömmlinge mit auffälligen religiösen Gebräuchen. Das sollte uns Trost spenden, aber es sollte uns nicht selbstgefällig und zufrieden auf den Zustand der Welt blicken lassen. In vielen Einwanderergemeinden gibt es tief greifende Probleme, die manchmal in den seit Langem bestehenden Traumata wurzeln, die die Einwanderer aus ihren Herkunftsländern mitbringen. Wer sagt, dass die Einwanderung keine Bedrohung sei, behauptet nicht zwangsläufig, dass alles gut sei. Wir sollten unsere Aufmerksamkeit vielmehr den echten Problemen der Einwanderung, Kultur, Religion und des Fortschritts auf der Welt zuwenden. Diese Herausforderungen sind keine Sintflut und auch kein Angriff, aber sie sind deshalb nicht weniger real.
I Die Erfindung des muslimischen Volkes
S ie waren keine Muslime, als sie aus dem Flugzeug stiegen. Sie waren Inder, Türken, Araber, Nordafrikaner, Iraker, Iraner, Nigerianer, Asiaten; sie waren britische Bürger, wohnten in Deutschland, waren Amerikaner indonesischer Herkunft, zukünftige Kanadier, die aus Bangladesch stammten. Der Islam mag die Religion dieser Neuankömmlinge des 20. Jahr hunderts gewesen sein, aber in den meisten Fällen war ihr Glaube nur ein Teil ihrer bisherigen Lebensgeschichte: Er bestimmte nicht ihr Selbstbild, sie suchten ihn auch nicht in anderen Menschen. Sie empfanden mehr Verbundenheit mit nicht muslimischen Einwanderern aus ihrem eigenen Herkunftsland als mit Muslimen aus anderen Ländern, dem Anspruch ihrer Religion auf Allgemeingültigkeit zum Trotz. Und sie waren zu sehr mit der Arbeits- und Wohnungssuche beschäftigt, um über religiöse Fragen nachzudenken.
Als ihre Kinder ins Jugendalter kamen, waren sie jedoch zu Muslimen geworden. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts bezeichnete die Welt sie so, oft mit Angst verbunden. Einige von ihnen hatten sich dafür entschieden, sich selbst so zu bezeichnen, weil ihnen die Religion in einem polarisierten Zeitalter zur bevorzugten Grundbefindlichkeit geworden war, zu der einen nicht peinlichen Quelle der Selbstidentifikation. Unterdessen hatten sie sich mehr oder weniger in das Wirtschafts- und Alltagsleben ihres neuen Heimatlandes integriert, beherrschten dessen Sprache besser und respektierten im Großen und Ganzen dessen Institutionen. Nur waren sie inzwischen Muslime. Das war ihre Identität, ihr Schicksal und manchmal auch der einzige Halt, der ihnen bei der schwierigen Klettertour ins Zentrum des westlichen Lebens zur Verfügung stand.
Der Islam mag 14 Jahrhunderte alt sein, aber die Bezeichnung »Muslim« war nur gelegentlich die einzige oder auch nur die bevorzugte Art der Selbstidentifikation. In den letzten beiden Jahrhunderten ist sie oft durch modernere Identitäten übertrumpft worden. Einwanderer beschrieben sich bis in die allerletzten Jahre des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen lieber durch ihre Nationalität (Inder, Ägypter) oder ihre ethnische Zugehörigkeit (Türke, Araber) als durch ihre Religion. Der Islam umfasste schließlich ein so breites Spektrum von Kulturen, Rassen und Nationalitäten, dass es zuweilen sinnlos und irrelevant schien, von einem »muslimischen Volk« zu sprechen.
Das änderte sich ab 1979 ziemlich schnell, ab dem Jahr, in dem die iranische Revolution dem Islam die Möglichkeit eröffnete, zum Instrument postkolonialer Rebellion und politischer Identität zu werden. Manche Muslime, die unter
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