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Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)

Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)

Titel: Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Peters
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wir bedroht werden. Allerdings hat die Sache einen Haken: Das System ist – man könnte sagen – ein wenig »veraltet«. Evolutionsbiologisch stammt die Konstruktion der Amygdala aus einer Zeit, in der sich höhere Tiere entwickelt haben. In Gefahrensituationen – wenn also zum Beispiel einer unserer menschlichen Vorfahren einer gefährlichen Raubkatze begegnete – versetzte die Amygdala das Stresssystem kurzzeitig in einen Erregungszustand, den so genannten »Fight or flight Modus«. Die Reaktionszeit wird verkürzt, das Gehirn ist hellwach, es braucht daher mehr Energie; Glukosenachschub und -bestellung des Gehirns werden gesteigert, um den Menschen in die Lage zu versetzen, reaktionsschnell ums Überleben zu kämpfen – oder zu flüchten. Dazu stellt das Stresssystem der Muskulatur ausreichend Fettsäuren zur Verfügung – zum Kämpfen oder Weglaufen. Ist die Gefahr überstanden, beruhigt sich das Stresssystem wieder. Es kommt zurück in seine Ruhelage.
    Auch im sozialen Umfeld – also beim Leben innerhalb einer Gruppe – können jederzeit Stressoren auftreten. Hier halfen unseren Vorfahren, zum Beispiel den Jägern und Sammlern, vermutlich klare Regeln, Strukturen und Rituale, Situationen richtig einzuschätzen und entsprechend emotional angemessen zu reagieren, also den psychosozialen Stress für den Einzelnen und für die Gemeinschaft zu reduzieren. In unserer sozial komplexen Welt ist es hingegen für die Amygdala viel schwieriger, zu bewerten, was eine konkrete Gefahr ist, wann sie beginnt und wann sie endet. Anders gesagt: Bedrohliche Situationen richtig einzuschätzen und emotional sinnvoll zu bewerten, ist für das menschliche Gehirn in den vergangenen 100 0 00 Jahren deutlich komplizierter geworden.

Abb. 10: Wie kommt es im Gehirn zur Gewöhnung?DSI steht für »Depolarisations-induzierte Suppression der Inhibition«. Ein Stressreiz setzt im Neuron 1 den Botenstoff Glutamat frei. Dieser bewirkt in Neuron 2 eine Depolarisation (= Erregung). Ist die Erregung stark genug, lässt Neuron 2 Endocannabinoide frei. Die Endocannabinoide binden an Neuron 3 an und induzieren dort eine Suppression (= Hemmung). Hier wird folglich der Botenstoff GABA nicht mehr freigesetzt. GABA führt sonst eigentlich an Neuron 1 zur Inhibition (= Hemmung) – ohne GABA kann Neuron 1 aber ungehemmt feuern. Durch einen starken Stressreiz stellt sich der DSI-Schalter jetzt auf AN-Position, und der Reiz wird maximal verstärkt. Im Gegensatz dazu ließe ein schwacher Stressreiz den DSI-Schalter in AUS-Position, und der Reiz würde vollständig abgeschwächt. Bei Dauerstress werden die Endocannabinoide unter der Einwirkung von Cortisol vermehrt in den Nervenzellen produziert. Deshalb springen bei Dauerstress in zahlreichen Synapsen im PFC die DSI-Schalter mit einer größeren Wahrscheinlichkeit in die Position AN und markieren so die für die Stressverarbeitung wichtigen neuronalen Informationspfade. Jetzt lernen genau die Synapsen des PFC, bei denen die Schalter angeschaltet sind, um welche bekannten Stressauslöser es sich handelt, nämlich diejenigen, die vergeblich abgewehrt worden sind und die so zu Dauerstress geführt haben (denn die Cortisolwerte sind schließlich hoch). Mit Hilfe der Endocannabinoid-Schalter ist es den Nervenzellen des Präfrontalen Cortex also möglich, die frustranen Stresspfade zu markieren und anschließend mittels so genannter Langzeitpotenzierung in Form eines Stressgedächtnisses zu speichern. Im Falle dieses Lernprozesses kann im PFC das Neuron 2 einen massiven Input zur Amygdala senden, was dort zur Dämpfung führt. Man nennt diese Form der Anpassung Habituation.

Gibt es einen Schalter im Gehirn, mit dem sich unsere Stressreaktion an- oder ausknipsen lässt?
    Eine emotionale Gefahrenanalyse – wie können wir uns das vorstellen? Alle Informationen, die die Amygdala erreichen, werden auf der Gefühlsebene bewertet und können einen Erregungszustand erzeugen. Da dies aber nicht immer sinnvoll ist, hat sich im Laufe der Evolution ein System im Gehirn etabliert, das Informationen filtert. Dieses System befindet sich im Präfrontalen Cortex ( PFC ). Hier wird entschieden, welche Botschaft eine echte Bedrohung darstellt und einen erhöhten Erregungszustand des Stresssystems sinnvoll erscheinen lässt. Diese Botschaft leitet der PFC an die Amygdala weiter. Erst vor Kurzem gelang es dem Psychologen Matthew Hill und seinen Kollegen von der University of British Columbia in Vancouver, die entscheidenden

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