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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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die Bedingungen auf unserer Erde auch nur ein wenig anders, könnten wir dann hier leben? Es ist doch unglaublich, dass das nur Zufall ist.“
    „Aber muss denn die Antwort auf alle diese Fragen unbedingt ‚Gott‘ heißen?“, entgegnete Pérez. „Woher wissen Sie denn, dass es wirklich eine erste Ursache gegeben haben muss? Was wissen Sie über den Beginn der Welt, das die Kosmologen nicht wissen? Nur weil wir uns nicht erklären oder vorstellen können, warum das Universum überhaupt existiert, müssen wir nicht annehmen, dass es aus einem bestimmten Grund existiert und dass dieser Grund ein Wesen sein muss.“
    Pérez schaute zur Decke hinauf, die sich hoch über ihnen wölbte. „Es erscheint mir natürlich naheliegend, dass es irgendwie einen Anfang gegeben haben muss. Aber angesichts unserer Erkenntnisse über Raum und Zeit ist es unmöglich auszuschließen, dass die Vergangenheit unendlich ist. Und wieso soll da ein Gott gewesen sein?“
    Pérez wollte Tanriverdi nicht ärgern, aber er konnte sich einfach nicht zurückhalten. „Sie brauchen Ihren Allah, weil Sie für Ihr Verständnis der Welt einfach etwas brauchen, von dem Sie sagen können, es sei unabhängig von Raum und Zeit und ohne Ursache“, sagte er. „Und diese Annahme, zu der Sie sich gezwungen sehen, nennen Sie Allah. Wir sagen dazu Gott. Und alle fühlen wir uns dazu berechtigt, weil es den Leuten schon vor langer Zeit genauso ging wie uns und sie in ihren Büchern geschrieben haben, dass Allah oder Gott Himmel und Erde erschaffen hat.“ Pérez breitete die Arme aus. „Irgendwie ist das unbefriedigend.“
    „Wir erfahren von Allah nicht nur aus alten Büchern“, sagte Tanriverdi ruhig. „Er ist allgegenwärtig. Ich spüre seine Gegenwart in jedem Augenblick.“
    „Wenn wirklich alles eine Ursache haben soll, wie die Gläubigen behaupten, wieso geben Sie sich dann mit der Vorstellung zufrieden, dass Gott keine Ursache gehabt hat?“, fragte Pérez. „Warum fragen Sie nicht: Was war vor Gott?“
    „Wissenschaftler“, entgegnete Tanriverdi, „suchen immer nach der einfachsten Lösung und versuchen, auf Hilfskonstrukte zu verzichten, nicht wahr? Nun, das Universum existiert und Gott auch. Zumindest können Sie das nicht widerlegen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es dieses wunderbare Universum in seiner perfekten Form gibt, ohne erschaffen worden zu sein. Ein nicht verursachter Gott ist da weniger unwahrscheinlich. Die einfachste und damit wahrscheinlichste Erklärung ist also, dass ein unverursachter Gott das Universum erschaffen hat.“
    Pérez dachte kurz nach. „Das klingt zwar schlüssig“, sagte er dann. „Wir können wirklich nicht sagen, wieso nasagen, ein Universum unverursacht existieren könnte. Das überfordert unsere Vorstellungskraft. Aber ist es deshalb sehr unwahrscheinlich? Und kennen Sie andere, nicht perfekte Universen, mit denen Sie unseres vergleichen können?“
    Er lächelte entschuldigend. „Dichten Sie Ihrem Gott da nicht einfach alle Eigenschaften an, die er braucht, damit Sie ihn an den Anfang stellen können? Er ist ohne Anfang und ohne Ende, er hat unendliche Macht, unendliches Wissen, unendliche Freiheit und den Wunsch, genau dieses Universum nach einem perfekten Plan zu erschaffen.“ Pérez lehnte sich zurück und faltete die Hände im Schoß. „Ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass ein kompliziertes, perfektes, körperloses, allwissendes Wesen einfach so existiert, für noch unwahrscheinlicher, als dass das Universum existiert, ohne verursacht worden zu sein. Eine einfache Erklärung für das Universum ist ein Gott also überhaupt nicht. Mit dieser Behauptung macht man es sich nur einfach.“
    Tanriverdi hatte ein Tuch aus der Hose gezogen und tupfte sich die Lippen. „Wissen Sie, ich brauche alle diese Überlegungen sowieso nicht.“ Er breitete die Arme aus. „Allah hat sich mir offenbart. Das dürfte inzwischen doch wohl klar sein.“
    Mittwoch, 17. Juni, am Río Sillay, Peru
    Der Regen weckte Tilly. Es prasselte, tropfte, klatschte, rieselte, nieselte und strömte, während das Wasser auf das Palmdach fiel, auf den hölzernen Vorbau, den Boden um die Hütte. Im ersten Augenblick erfüllte sie das Konzert der Regentropfen mit Unruhe. Doch die Gleichförmigkeit der Geräusche verwandelte das Gefühl schnell in sein Gegenteil.
    Sie richtete sich auf. Ein Schmerz zuckte durch ihr Handgelenk, als sie sich abstützte. Nur eine Unannehmlichkeit, die sie nicht aufhalten würde. Sie wollte jetzt

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