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Mythos

Mythos

Titel: Mythos
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Nora, kann ja alles sein. Vielleicht sind das keine Hirngespinste. Aber wie gesagt, wir suchen nach Schiffswracks. Das bedeutet Meer, Tiefsee, Sonar, Tauchroboter. Warme Kojen. Hin und wieder ein Sturm.“
    Er seufzte. „Inkaschätze bedeuten Fußmärsche, Dschungel, Macheten, schwere Rucksäcke, unbequeme Zelte, Stechmücken, Skorpione, Hitze, Regen, Malaria …“
    Der Lärm der Straßenbahn verschluckte das Ende seines Satzes.
    „Was bist du plötzlich für ein verdammter Jammerlappen?“, rief Tilly in den Hörer.
    York ließ sich nicht provozieren. „Wie viele Leute haben in den vergangenen Jahren in Amerika Schätze gefunden?“
    Sie wollte ihm sagen, dass immer wieder Inkaruinen oder Reste anderer präkolumbianischer Kulturen entdeckt wurden. Aber sie schwieg. Denn von Gold- und Silberschätzen hatte man schon lange genauso wenig gehört wie von dem verschollenen Percy Fawcett. Aber sie war noch nicht fertig. Es ging hier um ihre Zukunft. Sie setzte sich auf eine der Steinstufen, die zum Archiv führten, und stützte die Ellbogen auf die Knie.
    „Schiffswracks zu finden, ist auch nicht einfach“, sagte York. „Aber wir wissen, dass es sie gibt. Wir wissen, was sie geladen hatten. Wir wissen ungefähr, wo sie untergegangen sind. Wir haben die technischen Geräte, um sie zu finden, und die Ausrüstung, um ihre Ladung zu bergen.“
    Tilly war froh, dass York jetzt nicht mehr so müde und frustriert klang.
    „Und so ähnlich ist es jetzt auch mit diesem Schatz“, rief sie.
    Ob ein Schatz auf dem Grund des Meeres lag oder an Land, erklärte sie York, war doch wohl egal. Wichtig war, dass man möglichst genau wusste, wo er sich befand. Und wenn die Angaben so genau waren, wie es der Brief ankündigte, dann war es einen Versuch wert. Und immerhin müsste man ihn nicht aus dem Wasser holen.
    „Wir sollten der Sache nachgehen, Rob“, sagte sie. „Gib mir noch einige Tage, um den Wegweiser zu überorkser zu setzen.“
    Dass dieser Text verschlüsselt war, brauchte York ebenfalls nicht zu wissen. Sie musste es einfach schaffen, den Code zu knacken. Sie würde es schaffen.
    „Aber bisher hat noch niemand versucht, uns zu foltern oder umzubringen“ stellte York fest. „Ist das nicht zu gefährlich?“
    „Nein“, sagte Tilly bestimmt. Ich weiß es nicht, sagte sie in Gedanken. Vielleicht schon. Aber ich gebe jetzt nicht auf.
    „In Ordnung“, seufzte York. „Bis zum Ende des Monats läuft dein Vertrag. Die Rosario vergisst du. Wir sehen weiter, wenn du mir tatsächlich eine Schatzkarte mit einem dicken Kreuz präsentierst und sagst: ‚Jungs, hier liegt Flints Schatz.‘ Und wenn das nicht stimmt …“
    Tilly wusste, wovon York sprach. Als der junge Jim Hawkins in dem Roman von Stevenson die Schatzinsel erkundet hatte, war er auf Ben Gunn gestoßen, ein ehemaliges Mitglied der Mannschaft des Piratenkapitäns Flint. Gunn hatte die Mannschaft eines anderen Schiffes mit den Worten, die York zitiert hatte, dazu gebracht, auf der Insel nach Flints Schatz zu graben. Da die Suche jedoch erfolglos geblieben war, hatten die verärgerten Seeleute den ehemaligen Piraten auf der Insel ausgesetzt. Yorks Hinweis auf Ben Gunn war ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl.
    „Robert, du bist ein verdammter Mistkerl …“
    York ließ sie nicht ausreden. „Ach ja. Du bist gefeuert. Das war jetzt die formale Kündigung, sodass wir auf jeden Fall die Kündigungsfrist einhalten.“
    Tilly sprang auf. York war ein verdammtes Arschloch, und das sagte sie ihm auch.
    „Tut mir leid, Nora.“ Er lachte nur bitter. „Und das meine ich ehrlich. Und ich mache mir sogar Sorgen um dich. Aber …“
    „Dir auch einen schönen Tag“, flötete Tilly und beendete das Gespräch.
    Donnerstag, 4. Juni, Fort Pierce, Florida, USA
    Robert York schaute gedankenverloren durch die Windschutzscheibe des Cockpits seiner Jacht hinaus auf das Wasser des Indian River. Auf den Holzpfosten der Marina des Jachtclubs, die vor den Schiffen aus dem Wasser ragten, hockten grauweiße Pelikane, die Schnäbel verschämt an die langen Hälse geschmiegt, als sei ihnen die Gesellschaft der Reichen und Superreichen peinlich, die hier auf ihren Jachten einen unverdient sonnigen Urlaub oder Lebensabend verbrachten.
    York war sauer auf sich selbst. Warum hatte er seine Wut an Tilly ausgelassen? Und er war verwirrt. Diese Geschichte von einem Inkaschatz, einem toten Mönch und einem Mann, der sie vielleicht verfolgte – er konnte das nicht glauben. Hätte er ihr
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