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Mythos

Mythos

Titel: Mythos
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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weitere Recherchen verbieten sollen? Sie würde sowieso tun, was sie wollte. Genau wie er es an ihrer Stelle getan hätte. So gut kannte er sie. Also würde er sie unterstützen, so gut das von hier aus ging.
    Sein Mobiltelefon klingelte. Er nahm einen Schluck von seinem Bourbon – es war schon der zweite heute Morgen, aber immerhin hatte er das Getränk mit Eis verdünnt. Dann begrüßte er Tommy Ludeke.
    „Wir erholen uns langsam“, erklärte der Anwalt. „Wir liegen bereits wieder bei mehr als zwei Dollar.“
    „Schön, Tommy.“ York war erleichtert. Aber mehr wollte er jetzt nicht wissen. Er ließ Ludeke reden, ohne zuzuhören.
    Er mochte das Spiel nicht. Aktienhandel. Aber sie hatten sich nun einmal darauf eingelassen. So lief es eben. Ohne viel Geld von fremden Menschen konnten sie die großen, teuren Projekte nicht realisieren, an denen sie arbeiteten. Geld von Menschen, die offenbar zu viel davon hatten. So viel, dass sie es sich leisten konnten, es zu verlieren. Denn auch wenn es um Hunderte von Millionen Dollar ging, die am Meeresboden auf einen Finder warteten – einige Schiffsladungen waren sogar Milliarden wert –, die Bergung war teuer und der Erfolg niemals sicher.
    Aber wenn die Aktien nach einem vielversprechenden Fund in die Höhe schossen, hatten diese fremden Menschen gewonnen, tenn gewonohne sich auch nur eine Fingerkuppe nass gemacht zu haben. Er wusste nicht, ob diese Menschen in langweiligen Büros langweiligen Jobs nachgingen, während sie davon träumten, nach Schätzen zu suchen, und aus einer romantischen Stimmung heraus versuchten, sich über die Aktien irgendwie an einer echten Schatzsuche zu beteiligen.
    Oder ob es kaltblütig kalkulierende Geschäftsleute waren, bereit, auf hohe Gewinne mit hohen Risiken zu setzen, egal, ob es sich um verlorene Schätze oder Zentrifugen für Giftgasanlagen handelte.
    Piraten des 21. Jahrhunderts hatten die Spanier Leute wie ihn genannt. Was für ein Schwachsinn, dachte York. Es gab genug echte Piraten, die etwa vor Somalia Schiffe entführten. Aber er? Er erfüllte sich einen Traum, stellvertretend für fast jeden kleinen Jungen in den Industrieländern. Wieso lieferte etwa Playmobil mit seinen U-Booten und Tiefseetauchern gleich eine Schatztruhe mit, gefüllt mit kleinen Goldmünzen? Er wusste das, weil sein Sohn mit dem Zeug spielte.
    Nein, er war nur gezwungenermaßen Geschäftsmann. Eigentlich war er ein echter, altmodischer Schatzsucher. Diese Einstellung hatte er mit Nora Tilly gemeinsam. Diese Begeisterung für die Suche selbst, diese Schnitzeljagd von einem Archiv und einem Ort zum nächsten, bis man endlich Relikte einer längst vergangenen Epoche in den Händen hielt.
    Schon als Jugendlicher hatte er begonnen, für Mel Fishers Treasure Salvors zu arbeiten, und 1985 auf Key West mitgehört, wie Fishers Bergungsboot bei den Marquesas gemeldet hatte, sie wären auf ein Riff aus Silberbarren gestoßen. Nach einer 16 Jahre dauernden Suche, die Mel Fishers Sohn und dessen Frau das Leben gekostet hatte, hatten sie die Ladung der Galeone Nuestra Señora de Atocha entdeckt. Gold- und Silberbarren, Münzen, Schmuck und Kanonen im Wert von 400 Millionen Dollar. Nach acht Jahren und etlichen Gerichtsverfahren mit der US-Regierung und dem Staat Florida wurde Fisher die Beute schließlich zugesprochen. Und York hatte sich mit seinem bescheidenen Anteil selbstständig gemacht. Mit Erfolg. Seine Leute suchten inzwischen in den Archiven weltweit nach Orten, wo Wracks am Meeresboden auf ihre Entdeckung warteten. Sie nahmen mithilfe der akustischen Signale von Side-Scan-Sonargeräten Bilder von riesigen Flächen des Meeresbodens auf und schauten mit dem Sub-Bottom-Profiler sogar in die Schlammschichten hinein. Sie spürten mit Nuklear-Resonanz-Magnetometern Abweichungen im Magnetfeld der Erde auf, die von Ankern oder Kanonen verursacht wurden, und untersuchten schließlich vielversprechende Stellen mit einem ferngesteuerten Tauchroboter.
    Seit einigen Jahren arbeitete seine Firma mit einem größeren Unternehmen zusammen, das an der Börse gehandelt wurde. Aber die Konkurrenz war groß. Und man musste damit rechnen, dass alle wirklich wertvollen Wracks innerhalb der kommenden 50 Jahre aufgespürt würden. Wer zu spät kam …
    Er verabschiedete sich von Ludeke und ging hinunter in die geräumige Kajüte, um zu lesen. Aber er konnte sich nicht auf das Buch konzentrieren. Stattdessen tauchte Nora Tilly wieder in seinen Gedanken auf.
    Er vermisste sie.
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