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Mythos

Mythos

Titel: Mythos
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Auch wenn er sich das nur ungern eingestehen wollte. Es war die alte Geschichte, und er wunderte sich selbst, dass er so sehr dem Klischee entsprach. Ein Mann zwischen 40 und 50, der sich einen roten Ferrari – oder eine weiße Sportjacht – kaufte und mit einer weit jüngeren Frau anbandelte. Der seine Ehefrau betrog und das Seelenheil seiner beiden halbwüchsigen Kinder in Gefahr brachte. Und weshalb?
    Er war nicht unzufrieden mit seinem Leben und auf das, was er mit 40 Jahren erreicht hatte, blickte er mit Stolz. I did it my way, oder nicht? Sie besaßen ein ansehnliches Eigenheim mit Pool in Tampa, Florida, ein dickes Bankkonto, und seine Frau konnte sich seit einigen Jahren sogar den Luxus erlauben, nur noch Geld auszugeben, statt welches zu verdienen. Die Zukunft sah auch nicht schlecht aus – egal, ob der Bezirksrier er Bezichter im Falle der Galeone Nuestra Señora de la Cruces im Sinne der Spanier entscheiden würde oder nicht. Er selbst war gesund, gut gebaut, kräftig, sah gut aus. Und er liebte seine Frau – das konnte er ohne Wenn und Aber sagen. Er würde sie und seine Familie nicht verlassen.
    Wenn er ehrlich war, ganz ehrlich, dann war der einzige Grund, warum er sich auf eine Affäre mit Nora Tilly eingelassen hatte, peinlich banal. Es war ganz einfach ein großartiges Gefühl, von einer so jungen Frau begehrt zu werden. Ja, Herr Dreimalklug, natürlich war es eine Bestätigung der Männlichkeit, eine Schmeichelei der Eitelkeit. Und es war lächerlich, klar.
    Sicher war auch Neugier im Spiel. Wie war das mit einer anderen, fremden Frau? Er war Inés immer treu gewesen. Es war einfach so, dass sie sich liebten. Punkt.
    Und trotzdem. Diese kleine, burschikose Paläografin aus Deutschland, die zäh und zerbrechlich zugleich wirkte, die so begeistert von ihrer Arbeit war, hatte es ihm angetan, seit sie zum ersten Mal uneingeladen in seinem Büro aufgetaucht war. Sie hatte versucht, ihn davon zu überzeugen, dass er ohne sie nicht vernünftig arbeiten konnte. Auch in ihrer Affäre war die Initiative von ihr ausgegangen.
    Das war es ja gerade. Er hätte gar nicht daran gedacht, etwas mit ihr anzufangen. Aber dass sie ihn offenbar begehrenswert fand, trotz seiner Frau und der Kinder …
    Es war ihm schwergefallen, Tilly nach Europa zurückzuschicken. Und jetzt, wo er an sie dachte, kribbelte es in seinem Bauch. Er dachte an ihre dunklen Augen, die fast nie verrieten, was wirklich in ihr vorging. An ihre kleinen, festen Brüste, den straffen Bauch, die kräftigen Beine, ihre … Verdammt nochmal, fluchte York. Er war verrückt.
    Ihre Beziehung hatte keine Zukunft gehabt. Sie wusste das auch, davon ging er aus. Und das war es ja gerade. Warum also sollte er nicht vielleicht doch noch eine Weile … nur eine Weile?
    Es tat doch niemandem weh. Ihr nicht. Ihm nicht. Und seiner Frau auch nicht – solange sie nichts davon erfuhr. Und sie würde nichts davon erfahren, wenn er es geschickt anstellte. Er war schließlich viel unterwegs auf der Suche nach Hinweisen auf Wracks. Häufig war er mehrere Wochen am Stück nicht zu Hause. Früher war seine Frau manchmal mitgekommen. Seit die Kinder da waren, nicht mehr.
    Wenn also Nora Tilly recht hatte, wenn sie tatsächlich auf eine heiße Spur gestoßen war, die sie zu einem Schatz führen würde, dann ergab sich da eine verlockende Möglichkeit. Es war ja wirklich egal, ob ein Schatz unter Wasser lag oder an Land. Die Zeiten, als Entdecker und Eroberer im Dschungel von giftigen Pfeilen getroffen wurden, waren vorbei. Jedes Jahr unternahmen Tausende von Touristen Ausflüge in den Amazonasdschungel, darunter etliche von Hamburgerfett aufgeschwemmte und durch Diät-Cola verweichlichte Büroangestellte mit vorwiegend sitzender Tätigkeit. Sollte er sich da Sorgen machen? Er strich sich nachdenklich über seine straffe Bauchmuskulatur. Hatte er Tilly gegenüber ängstlich gewirkt? Nein, dachte er. Sicher nicht. Oder doch?
    Er fällte eine Entscheidung. Sollte sie innerhalb der nächsten Tage halbwegs überzeugende Hinweise finden, würde er eine kleine Expedition organisieren. Und er würde dabei sein. Er würde mit Tilly in den Dschungel gehen. Sich ein kleines Zelt mit ihr teilen. Das war wirklich eine verführerische Vorstellung. Und immerhin gab es im Dschungel keine Haie.
    Er griff nach seinem Mobiltelefon.
    Donnerstag, 4. Juni, Sevilla, Spanien
    Nora Tilly wartete, bis die elegante, silbern glänzende Straßenbahn der Metrocentro vorüber war, dann überquerte sie
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