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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Finger schnellen.
    Das ist sinnlos, dachte sie. Wieso hätte Belotti die Papiere verstecken sollen? Vor wem? Er hatte aus der ganzen Angelegenheit ja kein Geheimnis gemacht. Sie überlegte, wie sich die Schubladen des Sekretärs öffnen lassen würden, ohne das wunderschöne Möbelstück zu beschädigen.
    Die Bodendielen hinter ihr knarrten. Erschrocken fuhr sie herum.
    Die Zeit gefror. Sie spürte einen schmerzhaften Schlag gegen die Seite. Im selben Augenblick zogen sich ihre Arme und Beine unkontrolliert zusammen, ihre Bauch- und Rückenmuskulatur verkrampften sich. Ein heftiger Schmerz fuhr ihr durch den Kopf, als ihre Schläfe auf die Dielen schlug. Ihre Glieder zuckten konvulsiv. Warum tat ihr alles so weh? Warum bekam sie keine Luft? Verzweifelt riss sie den Mund auf und versuchte zu atmen. Vergeblich.
    Wie von äußeren Kräften kontrolliert, llintrollidrückte sich ihre Wirbelsäule durch, dann knallte sie mit dem Rücken wieder auf den Boden und rollte auf die Seite.
    Endlich hob sich ihr Brustkorb, ein wenig Sauerstoff drang in ihre Lunge. Sie schnappte nach Luft, versuchte, nach ihrem Hals zu greifen. Aber sie konnte sich nicht rühren. War ihr Genick gebrochen?
    Endlich konnte sie wieder atmen. Sie wollte schreien, brachte aber nicht mehr heraus als ein lang gezogenes Stöhnen. Ihre Augen zuckten umher, bis sie einen Schuh sah. Sie folgte mit den Augen dem Hosenbein darüber zum Saum einer metallisch glitzernden Regenjacke.
    Eine Hand geriet in ihr Blickfeld. Sie hielt eine kleine, schwarze Taschenlampe. Nein, keine Taschenlampe. Dort, wo sich bei einer Lampe die Glühbirne befand, saßen zwei metallische Zähne.
    Jemand hatte sie mit einem Elektroschocker gelähmt! Sie stöhnte. Wie lange würde die Lähmung anhalten? Verzweifelt versuchte sie, mit den Beinen zu strampeln. Aber die Befehle, die ihr Gehirn aussandte, kamen in der Muskulatur ihrer Gliedmaßen nicht an. Wieder versuchte sie zu schreien, doch ihre Stimmbänder produzierten nicht mehr als ein Gurgeln. Der Schuh verschwand aus ihrem Blickfeld.
    Sie wurde gepackt und über den Boden geschleift.
    Freitag, 5. Juni, Sevilla, Spanien
    Warum streckte der Mann seine rechte Hand so seltsam nach vorn? Er hockte auf seiner hohen, hellen Steinsäule, die Linke lässig auf den Oberschenkel gestützt, die schweren Augenlider über den fülligen Wangen geschlossen. Die spärlichen, langen Haare waren über die Ohren nach hinten gekämmt. Im nächsten Augenblick, so schien es, würde er den Mund öffnen und etwas sagen.
    Nein, dachte Arnaud d’Albret und schaute erneut auf die Hand mit den gespreizten Fingern. Dieser Mann würde singen. Er wusste nicht, wen die dunkle Statue zwischen den jungen Bäumen darstellte. Der Stil erinnerte ihn an die Arbeiten von Rodin. Dem Künstler war es gelungen, dem Denkmal trotz der groben Darstellung einen Ausdruck von beherrschter Leidenschaft zu geben.
    Beherrschte Leidenschaft – das, dachte Arnaud d’Albret, war ein Thema, von dem er auch ein Lied singen könnte.
    Er schob die Hände in die dunkle Hose und ging einige Schritte hinüber zu den Stühlen vor der Bodega Norte Andaluza. Hier, am nördlichen Ende der lang gestreckten Alameda de Hércules liefen die Häuserfronten aufeinander zu, und die Reviere der Gaststätten überschnitten sich. Er hätte genauso gut die enge, schnurgerade Einbahnstraße, die in den Platz mündete, überqueren und sich unter einen Schirm des Restaurants El Badulaque setzen können.
    D’Albret bestellte einen Chardonnay. Dann schaute er sich um. Der große, graue Block des Polizeipräsidiums direkt neben der Weinschenke erinnerte ihn an ein Hallenbad. Die Häuser auf der gegenüberliegenden Seite sahen dagegen aus, als hätte ein Riesenkind bunte Bausteine aneinandergereiht und dabei weder auf Größe noch auf Farbe, Form und Abstand geachtet.
    Straßenlaternen beugten sich in langen Reihen über das graue Pflaster des Platzes. Zwischen Pappeln standen gelbe Absperrgitter in einer völlig sinnlosen Anordnung. Obwohl der Platz durch die beiden Einbahnstraßen, die Fußgänger- und Radwege und die Laternen- und Baumreihen in parallele Linien von Nord nach Süd aufgeteilt war, strahlte er eine große Unruhe aus. Aber das passte ja. Die Alameda war schließlich der Ort, wo in Sevilla am meisten los war. Die Bars, Cafés, Restaurants, Bodegas boten vom Frühstück bis zu Tapas, Wein, Bier und anderen Getränken und Nahrungsmitteln am Nachmittag und Abend alles an, was hungrige und durstige

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