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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Merdrignac. „Glaubst du ihr? Oder ist sie vielleicht verrückt?“
    „Immerhin wurde sie in Belottis Wohnung tatsächlich überfallen, und wer weiß, was passiert wäre, wenn ich nicht dazugekommen wäre.“ Er betastete den Riss unter seinem Auge.
    „Aber sonst ist nichts zwischen dir und ihr?“, bohrte Merdrignac nach.
    „Bertrand, ich habe noch Gefühle für eine Frau. Für Yvonne.“
    „Deshalb nehme ich dich ja mit auf diese Reise“, sagte Merdrignac. „Damit es einfacher wird. Große Distanz, eine völlig neue Aufgabe.“
    Sie hingen eine Weile schweigend ihren Gedanken nach. Dann räusperte sich der Kardinal. „Es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich möchte, dass wir jetzt Zeit miteinander verbringen.“
    Der junge Priester blickte auf. Ein grauer Schatten huschte über das Gesicht seines väterlichen Freundes. Trauer, dachte d’Albret überrascht und irritiert. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Dann war der Augenblick vorbei, und der Kardinal schien wieder von dem Strahlen erfüllt, das ihn zu einer so beeindruckenden Persönlichkeit machte. Er brachte die Rückenlehne des Sitzes in die Senkrechte. Eine Stewardess kam vorbei. Der Kardinal bestellte bei ihr einen roten Rioja Gran Reserva und zwei Gläser.
    „Warten wir auf den Wein“, erklärte er und schwieg, bis ihre Gläser gefüllt waren. Dann stieß er mit d’Albret an.
    „Auf Bruder Bartolomé und dass er in den Kreis der Seligen aufgenommen wird.“
    Dann schaute der Kardinal seinen Neffen an. „Arnaud. Ich mache nicht gern viel Worte. Also …“
    Merdrignac griff nach d’Albrets Hand. „Ich werde sterben. Schon bald. Vielleicht schon in einigen Monaten.“
    D’Albret setzte sich aufrecht hin. Ihm war, als hätte ihm jemand in die Magengrube geschlagen.
    „Wieso?“, stamme >D?“, slte er. „Was ist passiert? Wie kannst du das wissen?“
    Der Kardinal umfasste d’Albrets Linke mit beiden Händen und hielt sie fest. „Ich habe Krebs. Im fortgeschrittenen Stadium. Nicht zu operieren, nicht zu heilen. Es geht mit mir zu Ende.“
    Der junge Priester schaute Merdrignac in die Augen und suchte verzweifelt nach irgendeinem Hinweis, dass er etwas falsch verstanden hatte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Augäpfel des Kardinals einen leichten Gelbstich hatten.
    Tränen stiegen ihm in die Augen. Das konnte nicht sein.
    „Es ist ein furchtbares Wort“, sagte Merdrignac. „Krebs. Wir hören so oft davon, doch es sind ja immer die anderen. Es macht uns betroffen, wir beten für sie, wir geben ihnen die Krankensalbung, doch wir sind nie selbst davon betroffen und werden es nie sein. Wir sind sicher, dass dieser Kelch an uns vorübergehen wird. Und wenn doch einmal die Angst aufblitzt gegenüber diesem allgegenwärtigen Schrecken, verdrängen wir sie. Warum sollte es uns treffen?“
    Er strich sich über das Kinn und nahm einen tiefen Schluck von seinem Wein. „Nun, es hat mich getroffen.“
    D’Albret versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Der Kardinal nahm seinen Kopf sanft zwischen die Hände und wischte mit den Daumen die Tränen beiseite.
    „Es ist schon in Ordnung. Weine ruhig, aber denk dran: Der Tod ist ein Teil des Lebens, und ich bin dankbar für das, was ich hatte. Und das war nicht wenig.“
    „Aber wieso bist du so sicher, dass du sterben wirst? Es gibt doch heute so viele Möglichkeiten …“
    Der Kardinal schüttelte den Kopf. „Es ist ein Gallengangkarzinom“, sagte er leise. Er kratzte sich am Arm. „Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich Gelbsucht habe. Das ist eine Folge des Tumors, der meine Gallengänge verschlossen hat. Das Geschwür ist schon zu groß, als dass man es herausoperieren könnte. Es lassen sich nur noch die Symptome bekämpfen.“
    Merdrignac seufzte. „Es wird hart. Aber die Zeit, die ich noch habe, will ich sinnvoll nutzen.“ Er richtete sich auf und drückte die Brust heraus. „Mein Gott, ich bin 63 Jahre alt, da muss man wohl damit rechnen. Alles andere ist doch naiv.“
    Der Kardinal trank einen weiteren Schluck Wein, bevor er fortfuhr. „Das Schlimmste ist im Augenblick, dass es mich ständig juckt. Aber ich versuche, dem Vorbild von Kirchenvater Antonius zu folgen. Wobei ich jetzt nicht an die Losung ‚Fliehe den Bischof und die Frau‘ denke, sondern …?“
    „Sondern an seine Versuchungen und Peinigungen“, ergänzte d’Albert, zwischen den Tränen lächelnd. Es war ein altes Spiel zwischen ihnen, ein Spiel zwischen dem Lehrer, der ein Stichwort gab, und dem

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