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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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für sein soziales und ärztliches Engagement loben.“
    Ampuero nickte zustimmend. „Natürlich.“
    Der junge Mann wirkte erleichtert, obwohl er ja hier nicht auf der Anklagebank saß. MacLoughlin konnte ihn verstehen. Wie musste ein Arzt sich fühlen, wenn er sich offensichtlich zu früh entschieden hatte, ein Leben aufzugeben.
    Sie hob die Hand. Merdrignac nickte ihr zu.
    „Nach Ihrer Entscheidung“, wandte MacLoughlin sich an Espinoza, „haben die Ordensschwestern und die Mutter das Kind beatmet und dafür gesorgt, dass es mit Elektrolyt- und Nährstofflösungen versorgt wurde.“
    „Richtig. Der Körper wurde versorgt, aber Medikamente wurden nicht mehr verabreicht.“
    „Aber wenn der Körper nicht mehr beatmet worden wäre, wäre das Kind doch gestorben, oder? Gebete hin oder her. Wenn da jemand ein Wunder bewirken wollte, warum mussten sich die Frauen dann noch so viel Mühe mit dem Körper machen?“
    Kardinal Merdrignac klang deutlich verärgert, als er sich einmischte. „Die Frauen haben gebetet und sich gekümmert. Wichtig ist, dass eine plötzliche und vollständige Heilung einer eigentlich unheilbaren Krankheit eingetreten ist, nachdem Bartolomé de Las Casas als Diener Gottes angerufen wurde. Wir müssen hier klären, ob die Krankheit unheilbar war und keine anderen Faktoren gewirkt haben als die Gebete.“
    MacLoughlin stützte ihr Kinn auf die Hand. „Wenn wir es mit einem Wunder zu tun haben, dann müssen die Naturgesetze überschritten worden sein, richtig? Sonst wäre es ja kein Wunder, sondern einfach nur ein Ereignis, das eine natürliche Erklärung hat, die wir nur noch nicht kennen.“
    Baldo Riva zog die Achseln hoch. „Nun ja, so muss man das wohl sehen.“
    „Dann müssten wir also jetzt beweisen, dass ein Naturgesetz überschritten worden ist“, erklärte MacLoughlin. „Dazu müssten Sie überzeugend belegen, dass wir die Naturgesetze genau kennen und genau wissen, wann und wo sie überschritten wurden. Aber kennen wir alle herrschenden Naturgesetze genau genug, um sagen zu können, dass ein bestimmtes Ereignis innerhalb dieser Gesetze niemals stattfinden kann? Ein Ereignis, das aber trotzdem stattgefunden hat, und zwar genau so, wie es nicht hätte sein können?“
    „Natürlich kann ich das von mir nicht behaupten“, antwortete der Professor verärgert. „Weder ich noch sonst jemand kennt die Naturgesetze in allen Details. Ich meine, fragen Sie mich nichts zur Quantenphysik. Natürlich weiß niemand, was überhaupt alles möglich ist. Niemand ist allwissend, außer Gott.“
    „Dann könnte diese Heilung vielleicht doch im Rahmen von Naturgesetzen stattgefunden haben, von denen wir aber noch zu wenig wissen? Dann aber wäre sie kein Wunder.“
    Kardinal Merdrignac trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „Schön, ich glaube, Sie werden Ihrer Rolle gerecht, Frau MacLoughlin. Und vielleicht werden einmal alle Geheim Pr alle Gnisse der Natur gelöst. Aber das große Geheimnis, das ewige Urgeheimnis, ist natürlich das Geheimnis der Natur selbst, verstehen Sie? Warum gibt es die Natur überhaupt?“
    Durch das Fenster schallten Rufe herein. MacLoughlin schaute hinaus auf die Plaza de Armas, wo sich wieder eine große Gruppe von Demonstranten versammelt hatte.
    Merdrignac fuhr fort: „Es geht um das ungegenständliche Geheimnis in allen Dingen. Das Geheimnis, das sich den wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden entzieht.“
    „Ein Geheimnis, das sich Ihren transzendenten Methoden jedoch nicht entzieht?“, fragte MacLoughlin. „Welchen Methoden?“
    „Zuerst muss man überhaupt Transzendenz akzeptieren“, antwortete Merdrignac geduldig. „Dann kann man auch akzeptieren, dass es ein Jenseits gibt, von dem uns Jesus berichtet hat. Dann schließen Sie auch Wunder nicht von vornherein aus und hegen keine Vorurteile mehr gegenüber der Möglichkeit von übersinnlichen und überirdischen Ereignissen.“
    „Und mit einem Mal“, sagte MacLoughlin, „ist alles möglich, und zugleich kann man sich auf nichts mehr verlassen. Denn wo ist Gottes Hand im Spiel, und wo nicht?“
    „Wie gesagt, Sie müssten Transzendenz überhaupt akzeptieren.“
    „Sie weichen mir aus.“
    „Man spricht übrigens doch auch von einem Wunder bei Dingen, die sich auf einer durch und durch natürlichen Grundlage ereignet haben. Wenn zum Beispiel Menschen entgegen aller Wahrscheinlichkeit ein Zugunglück überleben, bei dem alle anderen Reisenden sterben. Wenn nach einem Erdbeben auch nach

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