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Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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zehn Tagen noch Überlebende gefunden werden. Wunder sind also auch sehr, sehr ungewöhnliche, aber auch sehr erwünschte Ereignisse.“
    „Das Überleben dieses einen nennen Sie ein Wunder und meinen, da hat Gott seine Hand im Spiel“, sagte MacLoughlin nachdenklich. „Und was sagen Sie dazu, dass alle anderen Menschen bei dem Ereignis ums Leben gekommen sind? Hatte da auch Gott seine Hand im Spiel? Wie nennen Sie das? Unwunder?“
    Merdrignac ignorierte ihren Einwand. Er breitete die Arme aus. „Uns genügt es erstmal, dass sich die Heilung von Luisa mithilfe der gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisse nicht erklären lässt. Ob es einen transzendenten Zusammenhang zwischen den Gebeten zu Bartolomé de Las Casas und ihrer Heilung gibt, wird später eine Kommission im Vatikan diskutieren.“
    Er zeigte auf die Journalistin. „Sie haben als Sachverständige des Promotors Fidei noch keine Einwände erhoben gegen diese Aussage. Das heißt …“
    „Augenblick, ich erhebe Einwände gegen diese Formulierung“, unterbrach ihn MacLoughlin. „Es muss heißen: Die Heilung ist nach gegenwärtigem medizinischen Wissen nicht erklärbar, was sich in der Zukunft aber vermutlich ändern wird.“
    „Dann nehmen wir das zur Kenntnis“, gestand Merdrignac ihr zu. „Aber Sie haben bislang keinen alternativen Erklärungsvorschlag zu unserer Annahme eines Wunders, oder? So wie im Fall von Mutter Teresa?“
    MacLoughlin fluchte innerlich. Sie hätte sich auf diese ganze Sache nicht einlassen sollen. Es war immer das Gleiche. Am Ende hieß es, man könnte nicht widerlegen, dass Gott oder irgendeine überirdische Macht Einfluss genommen hatte. Und der Presse konnte der Vatikan später sagen, selbst eine ausgewiesene Kirchenkritikerin wie Brea MacLoughlin hätte keine berechtigten Zweifel anmelden können. Sie spürte das unwiderstehliche Verlangen nach einer Zigarette.
    „Das war es für heute“, sagte Merdrignac und bedankte sich bei allen.
    Vor dem Haus wartete Oscar Araoz, ihr Kindermädchen im Auftrag des Bischofs, und fuhr den Kardinal, d’Albret, Ampuero und MacLoughlin zum Hotel zurück.
    „Wir haben es fast geschafft“, sagte Merdrignac und legte MacLoughlin die Hand auf den Arm. Sicher wollte der Kardinal sie damit trösten, dass der Vatikan sie bald nicht mehr brauchte. Für sie klang es allerdings wie die Aa Mgs wie nkündigung eines Sieges über die Vernunft. Es war hoffnungslos. Die Menschen wollten an Wunder glauben. Sie wollten sich überirdischen Autoritäten unterwerfen. Vielleicht war es wirklich Zeit, das zu akzeptieren und vor dem Gegenwind die Segel zu streichen. Vielleicht sollte sie doch etwas anderes machen. Sich leichteren Themen widmen.
    „Arnaud und ich werden morgen früh übrigens die Demonstranten auf dem Highway vor Bagua besuchen“, sagte Merdrignac. „Die Blockade wird aufgelöst, heißt es. Die Kirche will vorher noch einmal ihre Solidarität mit den Demonstranten zeigen.“ Er drückte sacht MacLoughlins Arm. „Wollen Sie sich uns nicht anschließen? Das könnte für Sie als Journalistin doch auch interessant sein.“
    „Sicher“, seufzte MacLoughlin müde. „Sicher.“
    Freitag, 12. Juni, Fernando Belaúnde Terry Highway vor Bagua, Peru
    Die schwarzen Felsen links und rechts der Straße wuchsen im schwachen Licht der Morgendämmerung bedrohlich in die Höhe. Tilly zog den Kopf zwischen die Schultern, als sich die Wände von beiden Seiten der schmalen Bresche, durch die die Straße führte, über den Wagen neigten. Dutzende von Lastwagen warteten im tiefen Schatten der Felsen.
    Erleichtert lösten sich Tillys Finger voneinander, als sich nach einer engen Kurve unvermittelt das weite Tal des Río Marañón vor ihnen öffnete. Die Fahrbahn teilte sich auf und führte über zwei schmale Hängebrücken mit Pylonen aus rotgelbem Stahl.
    „Corral Qemado“, sagte Araoz vom Fahrersitz. „Von hier hat die Polizei vor einigen Wochen die Demonstranten mit Tränengas verjagt.“
    Hinter der Brücke vereinigten sich die Fahrspuren vor einigen flachen Gebäuden, danach führte die Straße am Fluss entlang Richtung Norden. Sie hatten das Ende der Lastwagenkolonne erreicht. Auf der Straße stand eine Reihe von weißen Geländewagen, dazwischen bewegten sich im Scheinwerferlicht der Autos dunkle Gestalten in paramilitärischer Ausrüstung. Ein Polizist mit Helm, Schutzweste und einem Sturmgewehr über der Schulter winkte sie zur Seite. Araoz hielt an und sprach eindringlich auf ihn ein. Der

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