Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
Vom Netzwerk:
Aber hier lassen sich die Schaffner Zeit und kontrollieren gemütlich einen Fahrgast nach dem anderen. Während sie durch das Abteil ziehen, hält der Zug zweimal, die Jugendlichen steigen aus, andere Fahrgäste ein. Ein älterer Bayer betritt kurz die Bahn, erblickt die Uniformierten, murmelt «Kruzifix!» und geht wieder raus.
    Als die Kontrolleure bei mir angekommen sind, zeige ich stolz meinen Fahrschein. «Dea is ned gstempelt», brummelt die Schaffnerin. Mist! Ein ehemaliger Mitbewohner von mir musste in Berlin mal vierzig Euro Strafe zahlen, weil er den Fahrschein auf der falschen Seite entwertet hatte.
    «Hoib so wuid», meint die Schaffnerin versöhnlich und kritzelt mit dem Kugelschreiber auf dem Ticket herum. Sie lächelt mich an und zieht weiter. Wie sind die denn drauf?
    Am Marienplatz frühstücke ich einen Salami-Bagel und einen großen Kaffee. Es sitzen deutlich weniger Notebook-Poser rum als in den Berliner Cafés. Wahrscheinlich haben die hier einfach alle Geld für richtige Büros.
    Auch ich habe bei der Zeitung einen eigenen Arbeitsplatz, den ich mit niemandem teilen muss. Meine Kollegen sind freundlich, gebildet, machen ihren Job und um Punkt zwölf Uhr Mittagspause. Da ich noch nichts zu tun habe, schickt mich mein Chef nach einem Rundgang durch die Redaktion nach draußen. Ich soll mir erst einmal in Ruhe die Stadt anschauen. Wird erledigt!
    Im Gegensatz zur Berliner Innenstadt besitzt München eine Fußgängerzone, so wie Hannover. Hier liegt alles nah beieinander: H&M, Zara, Karstadt, Kaufhof, Parfümerien, Schuhgeschäfte und drei Sexshops. Ganz in der Nähe finde ich das Wahrzeichen der Stadt, den Dom zu Unserer lieben Frau, auf Bairisch: Frauenkirche.
    Da die Münchner Stadtverwaltung in der Innenstadt keine Gebäude erlaubt, die höher emporragen als hundert Meter, sind die beiden 99 Meter hohen Türme nicht zu übersehen. In der Kirche kann man einen originalen Fußabdruck des Teufels anschauen, der auch mal in München war.
    Als ich zwei jüngere Passantinnen nach dem Szeneviertel frage, schicken sie mich zum Gärtnerplatz. Endlich sehe ich Beautyprolls mit Markenklamotten und Pseudo-Irokesen-Haarschnitt, wie er in Berlin vor zirka vier Jahren modern war. Ich setze mich auf eine freie Bank und überlege, was in dieser Stadt wohl schiefgelaufen ist.
    Zu Anfang des 20. Jahrhunderts war München das kulturelle Zentrum Deutschlands. Einst blühte hier eine Kultur-und Denkerszene, die ihresgleichen suchte: Kreative wie Paul Klee malten die ersten abstrakten Bilder, und Politiker wie Lenin bastelten hier an den ersten abstrakten Regierungsformen. Das Schwabinger Satireblatt Simplicissimus nahm die Vorgänger von Strauß und Stoiber aufs Korn, während Rainer Maria Rilke und Thomas Mann in den Künstlercafés die Vorgänger von Latte macchiato schlürften. Ich schaue zu den heutigen Münchnern mit ihren gebogenen roséfarbenen Sonnenbrillen und den passend getönten Wangen hinüber. Latte macchiato kennen die bestimmt. Aber Thomas Mann halten sie wahrscheinlich für ein Herrenparfüm.
    Ich beschließe, nach Schwabing zu fahren und dort nach Subkultur zu suchen. Die U-Bahn-Linie 6 bringt mich bis zur sogenannten Münchner Freiheit. Da gab es doch mal diese Band in den Achtzigern; vier Schnösel mit tuffigen Föhnfrisuren, die Deutschland den Soundtrack der Angepassten aufzwangen. Kaum habe ich daran gedacht, dudelt mein Kopf in Endlosschleife: «Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein, ohne dich fahr ich heut Nacht nicht heim …»
    Am Rand von Schwabing beginnt der Englische Garten: das Zentrum der Münchner Freikörperkultur. Ich suche die sogenannte Schwanzwiese. Es heißt, hier träfen sich die «Nackerten» in großer Zahl. Heute sieht man hier kaum welche. Allenfalls den einen oder anderen Seniorenhippie. Ich zwänge mich vorbei und bemühe mich, keinem auf die Eier zu gehen. Etwas abseits, auf einer Infotafel, lese ich eine interessante Geschichte: 1777 starb die bayerische Linie des angestammten Herrscherhauses der Wittelsbacher aus, und der Thron fiel in die Hände eines Pfälzers: Karl Theodor von Pfalz-Sulzbach. Der freute sich nicht sonderlich über sein Erbe und soll versucht haben, Bayern gegen Holland einzutauschen. Aber selbst der damalige Besitzer von Holland wollte die abgelegene Agrarprovinz nicht haben. Schließlich fügte sich Karl Theo in sein Schicksal, sanierte Finanzen, Verwaltung, Gesundheitswesen und führte die Kultur ein. Dazu zählt auch der Englische

Weitere Kostenlose Bücher