Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Bayerns.» Seine Stimme hebt sich wie die eines Boxpromotors: «Herausforderer is oana von uns: da amtierende niederbayerische Meister im Ochsenrennen – Waaaaschtl aus Minga!» Die Leute klatschen.
Ich rühre mich nicht von der Stelle. «Ein Hogmoasta???», frage ich Urs. Aber der schiebt mich wortlos in den Kreis zum Schiedsrichter, der angesichts der historischen Herausforderung sein Hemd ausgezogen hat. «Toni, Waschtl, ihr hobts eia Pfoad o, na konns losgeh: Bayern gegen Tirol.»
Die Leute haben sich von den Bierbänken erhoben. Der blonde Junge klettert vom Schoß seines Vaters und tritt an den Sägemehlrand. «Für Bayern, Waschtl!», ruft er mit festem Stimmchen. «Für Bayern, Waschtl!», wiederholt sein Vater. Andere Zuschauer greifen die Worte auf: «Für Bayern, Waschtl!» Es ist mehr als ein Schlachtruf. Es ist ein Schwur. Ich bekomme eine Gänsehaut.
Der halbnackte Schiedsrichter tritt vor. «I wui a saubern Kampf ham», befiehlt er. «Koane Fisimatenten!» Ich nicke, der Tiroler nicht. Der Schiedsrichter gerät sofort in Rage. «Toni, du woaßt, wovon i red.» Jetzt nickt auch Toni. «Gebts eich die Händ!» Ich strecke meine Rechte aus, mein Gegner klatscht sie zur Seite.
Der Schiedsrichter bläst in seine Trillerpfeife, ich springe nach hinten. Gnadenbringertoni stürzt auf mich zu und versucht, mich am Revers zu greifen. Ich schlage seine Hände weg, wie ein Mädchen, das auf einen Verflossenen eintrommelt. Es gelingt ihm nicht, mich zu packen. «Sauber, Waschtl!» Das ist Knolls Stimme. «Jetz an Knüpfer!» Einen was? Unaufmerksamkeit – ein fataler Fehler. Gnadenbringertoni bekommt mich am Gürtel zu fassen, dreht seine Hüfte, hebt mich hoch, ich verliere den Bodenkontakt, mein Gürtel reißt und Gnadenbringertoni fällt nach hinten. Die Bayern lachen erleichtert auf. Ich ziehe die Überreste des Gürtels aus den Schlaufen und werfe sie hinter die Abgrenzung, vor die Füße eines Zuschauers. Der löst nun seinen und reicht ihn mir in den Ring. Es kann weitergehen. Ich konzentriere mich darauf, die Griffe meines Gegners abzublocken. Einmal packt und wirft er mich, aber ich mache eine Rolle vorwärts und stehe wieder auf.
Als Gnadenbringertoni erneut auf mich zugeprescht kommt, packe ich seine Arme, stemme eine Fußsohle in seinen Bauch, lasse mich nach hinten fallen, ziehe den Alten zu Boden und werfe ihn über mich. «Ohh!», staunt das Publikum. Ich selbst staune auch. Aber da steht Gnadenbringertoni schon wieder.
«Los, Waschtl!», höre ich Roni rufen.
«Jetza!», fordert Knoll.
«Du hoschs so gewellt», zischt Gnadenbringertoni, packt mich am Arm und verschwindet aus meinem Blickfeld. Plötzlich spüre ich seine Hände an meinen Füßen, werde hochgerissen, hebe ab und schwebe mit einem Mal waagerecht in der Luft. Vor Schreck halte ich den Atem an. Aus etwa eineinhalb Metern Höhe krache ich auf den Rasen. Uff! Meine Rippen knacken, ein Stich fährt durch meine Lunge, ich kann nicht atmen.
«A ansatzlos gereckta Schulterschwinger!», ruft der Schiedsrichter anerkennend. «Sieger is da Gnadenbringertoni.» Das Publikum applaudiert höflich. Allmählich bekomme ich wieder Luft. Mein Gegner beugt sich über mich und reicht mir seine hornige Rechte. Ich ergreife sie, er zieht mich auf die Füße. «Olles in Ordnung?», fragt er. Ich nicke. «Tuat mir load, wos i uebo deine Frau gsog hon», entschuldigt er sich. «Wor lei zum Motiviern.»
«Danke, aber leider ist sie gar nicht meine Frau», keuche ich.
Wir geben uns die Hand. Jetzt klatschen noch mehr Leute. Gnadenbringertoni legt meinen Arm um seine Schultern und schleppt mich zu unserer Bank. «Du hosch Talent. Sollasch oefto rangln», empfiehlt er mir. Lieber nicht. Mit wackeligen Knien taumele ich zu Knoll. Mir ist schwindelig, und Kopfschmerzen habe ich auch. Dann nimmt mich Roni endlich in den Arm. Dadurch bekomme ich zwar wieder weniger Luft, aber das ist mir gleich.
«Jetz is guad», mischt sich Knoll ein. Kaum hat mich Roni losgelassen, drückt er mich an seine Brust. «Waschtl, i bin fei echt stolz auf di», sagt er feierlich. Roni wirft mir einen schmelzenden Blick zu.
Auf der Rückfahrt habe ich noch eine Frage: «Knoll, hast du eigentlich gewusst, dass der Alte ein berühmter Rankelmeister ist?»
«Ja scho.»
«Warum hast du mir das nicht gesagt?»
«Sonst wärst ned otretn.»
Schweigend fahren wir durch die ewig gleiche Landschaft, zurück durch die Dörfer, in denen uns die ewig gleichen alten Gesichter
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