Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Werkzeug.
Nach vierzehn Tagen habe ich wieder einmal einen Knochen ausgehöhlt und das Krustenlabium justiert. Ich führe die erkaltete Haxe zum Mund und blase zaghaft hinein, da entwickelt sich im Knochen – ein Ton! Zuerst ganz leise und unsicher, immer wieder schlägt er um in ein luftzugartiges Pfeifen. Dann – zaghaft – nimmt das Geräusch erneut Gestalt an und schwillt zu einem echten Ton. «Herrschafdszeidn!», entfährt es mir, als ich die Haxe abgesetzt habe.
Mein einziges Problem ist nun noch die spontane Zurichtung des Instruments. Ich werde es kaum schaffen, innerhalb weniger Minuten eine Haxe vom Hochzeitsbuffet in eine Watzendudel umzuarbeiten. Und wer auf einer Hochzeitsbühne Zeit mit Werkeln vertut, verliert die Gunst seines Publikums. Und was tun, wenn es bei der Hochzeit gar keine Haxen gibt, sondern nur Schweinebraten? Darauf kann selbst ich unmöglich spielen. Allerdings hat ein echter bayerischer Schweinebraten immerhin eine Kruste. Und alles andere kann ich vorbereiten. Ein guter Plan! Wäre ich ein Schurke in einem Film, würde ich jetzt den Kopf in den Nacken werfen und diabolisch lachen. Stattdessen übe ich lieber noch ein wenig auf meiner Haxenflöte.
Eine Woche vor der Hochzeit besitze ich eine Profi-Watzendudel, die ich eigenhändig mit Schnitzereien von meinen bayerischen Abenteuern verziert habe: mit zwei rankelnden Strichmännchen, einem Ochsen und dem toten Kater Ludwig. Das Werk erinnert ein wenig an Grabbeigaben aus dem Paläolithikum.
Neben meinem neuen Instrument besitze ich, dank der täglichen Besuche im Isarstüberl, nun auch einen kleinen, aber stattlichen Bier-und Krustenbauch. In meinem Fall ist das allerdings kein Statussymbol, sondern ein echtes Problem: Der gute alte Flohmarktanzug passt nun nicht mehr über meine Plauze. Also muss ein neuer her.
In München gibt es laut Telefonbuch genau 367 Lederhosengeschäfte. Fast jedes davon ist nach eigenen Angaben das beste, ursprünglichste und älteste Lederhosengeschäft der Stadt. Auf meinem Weg zur Arbeit liegt «Schusters Leistl», ein Lederhosendiscounter. Ich gehe täglich hier entlang, gehe täglich hier vorbei. Und dann, am Mittwoch, tue ich etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es jemals tun könnte. Ich tue es wider meine Natur, wider bestes Wissen und Gewissen. Ich tue es für Knoll, ich tue es für Roni. Tue es. Ich gehe einfach mal rein.
Wie in jeder Herrenboutique hängt auch in «Schusters Leistl» die Kleidung an zwei Stangen übereinander an der Wand. Lederhosen in grünen und braunen Naturtönen so weit das Auge reicht. Zur musikalischen Untermalung der volkstümlichen Atmosphäre scheppern bayerische Weisen aus einem Kofferradio. Ich stöbere herum.
«Konn i Eahna heifa?», fragt eine ältere Verkäuferin.
«Ja, der Stiefvater einer ehemaligen Freundin heiratet in Tracht, und ich brauche eine Lederhose.»
«A Kniebundhosn oder a Krachlederne?»
«Ich verstehe nicht?»
«Soi’s übers Knie gehn?»
«Ich weiß nicht.»
«Ab Pfingstn die kurze, ab Kirchweih die lange.»
«Was ist Kirchweih?»
«Wann is Hochzeit?»
«Nächste Woche.»
«Oiso übers Knie.»
Unaufgefordert schleudert sie mir ein Maßband um den Bauch. Mit den Worten «Nehmens a Fuchziger» drückt sie mir eine schlichte bundeswehrgrüne Lederhose ohne Hosenträger und Anhängsel in die Hand. Das schwere Kleidungsstück fühlt sich erstaunlich weich an. «Des is a Hiaschleder», klärt mich die Verkäuferin auf und nickt mit dem Kopf. «Ganz was Feins.»
Hinter einem Vorhang mit Enzianmuster ziehe ich meine Jeans aus und schlüpfe in die Hirschhose. Schlüpfen ist eigentlich nicht das richtige Wort, denn ich kriege das Teil nicht mal über die Waden. Also zerre ich mit aller Gewalt.
Nach einem kräftigen Ruck sitzt sie. Nicht wie Jeans oder Anzughosen sitzen – eher wie eine Windel. Diese Hose, das merke ich sofort, ist das bequemste Kleidungsstück, das ich jemals getragen habe. Ich fühle das starke Verlangen, aus dem Laden zu rennen, mich mit Erde zu beschmieren oder auf einen Baum zu klettern. Aus einem unerklärlichen Reflex heraus klatscht meine rechte Handfläche auf meinen linken Oberschenkel, und ein satter, schmatzender Ton hallt durch die Kabine.
Vorsichtig schiebe ich den Vorhang beiseite und trete vor den Spiegel: Ich sehe total bescheuert aus! Aber immerhin sitzt die Hose wie eine zweite Haut. Die Verkäuferin eilt herbei. «Naa, die sitzt no ned! I hol Eahna a Achtavierzger.»
Wie bitte? Die
Weitere Kostenlose Bücher