Nach all diesen Jahren
hatte, dass es ihr gefiel, hatte Raoul es auf der Stelle gekauft. Er versprach dem Makler eine Extraprämie, wenn er alles binnen kürzester Zeit abwickeln würde. Sarah war fassungslos, als sie die Summe hörte, um die es dabei ging, aber Raoul zuckte nur mit den Schultern. Ursprünglich hatte sie angenommen, dass der Wunsch nach Reichtum Raouls Ehrgeiz beflügelte, aber jetzt wurde sie eines Besseren belehrt: Geld bedeutete für ihn lediglich Freiheit. Er wollte in völliger Unabhängigkeit leben und schalten und walten, wie es ihm beliebte – also ein Leben führen, das mit seiner Kindheit nicht das Geringste zu tun hatte.
Vor Kurzem – und auch nur durch Zufall – hatte sie entdeckt, dass Raoul große Summen für wohltätige Einrichtungen spendete. Unter anderem der Organisation, durch die sie sich damals in Afrika kennengelernt hatten.
Sie erwähnte dies mit keiner Silbe, fügte es jedoch als neues Puzzleteilchen dem neuen Bild hinzu, das sie sich nach und nach von Raoul machte. Er schien der Widerspruch in Person zu sein. Einerseits war er ehrgeizig, karrieresüchtig und getrieben von dem Drang, Erfolg zu haben. Andererseits zollte sie ihm insgeheim Respekt dafür, wie intensiv er sich der Aufgabe widmete, eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen. Er bewies Einfühlungsvermögen, unendliche Geduld und ertrug Rückschläge mit stoischem Gleichmut.
Frauen betrachtete er zwar lediglich als angenehmen Zeitvertreib, aber er versuchte nicht, sie zu manipulieren. Einerseits signalisierte er absolute Unnahbarkeit, andererseits hatte Sarah das Gefühl, der kleine Junge von einst befand sich ganz dicht unter der Oberfläche. Sie hörte es heraus, wenn er – was selten genug vorkam – über seine Kindheit sprach, obwohl er dann einen betont sachlichen Ton anschlug.
Auch noch nach fünf Jahren faszinierte Raoul Sinclair sie wie am ersten Tag. Selbstverständlich würde sie das nie zugeben. Sie konnte nur nicht ganz verhehlen, dass sie sich über seine Besuche freute.
Wie würde ihr Verhältnis wohl aussehen, wenn sich erst alles eingespielt hatte? Wenn er Oliver regelmäßig zu sich nehmen würde? Das wäre natürlich fantastisch, versuchte sie sich einzureden. Endlich könnte sie sich ein eigenes Leben aufbauen. Sie hätte nicht länger die Ausrede, dafür kein Geld oder keine Zeit zu haben.
Raoul hatte darauf bestanden, ihr ein Bankkonto einzurichten, über das sie selbstständig verfügen konnte. Natürlich hatte sie das zuerst abgelehnt, aber seiner Argumentation war sie letzten Endes nicht gewachsen. Das wäre ja wohl das Geringste, was er für sie tun könnte, nachdem sie all die Jahre allein für alles aufgekommen war – während er sein Imperium aufbaute.
Sarah seufzte und versuchte, das Gedankenkarussell aufzuhalten. Es war schon schwierig genug, mit ihren Gefühlen umzugehen, aber jetzt stand auch noch der Umzug an – und die Aufgabe, Oliver zu sagen, dass Raoul sein Vater war.
Für den heutigen Tag hatten sie einen Ausflug in einen Vergnügungspark geplant. Für Oliver wäre es das erste Mal, und – wie Sarah zu ihrem Erstaunen feststellen musste – auch für Raoul. Er gestand ihr, mit neun die einmalige Gelegenheit verpasst zu haben, an einem Ausflug des Kinderheims anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der Einrichtung teilzunehmen. Er hätte nämlich mit Grippe auf der Krankenstation gelegen.
Als sie zum Auto gingen, liefen Vater und Sohn ein paar Schritte vor Sarah. Der hochgewachsene Raoul und Oliver, der sich anstrengte, Schritt mit dem Mann neben sich zu halten. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war unverkennbar – dieselben Haare, derselbe dunkle Teint. Oliver trug stolz seinen neuen Rucksack, und die Jeans – ebenfalls neu – schien ihm das Gefühl zu verleihen, ein „ganzer Mann“ zu sein.
Sarahs Blick schweifte unwillkürlich zu Raoul. Nach wie vor fand sie ihn atemberaubend. Jetzt, da keine Gefahr bestand, dass er es bemerkte, konnte sie ihn nach Herzenslust betrachten. Sie weidete sich am Anblick der langen muskulösen Beine in der verwaschenen Jeans, die ihm locker auf den schmalen Hüften saß, und der gebräunten Unterarme, die durch die aufgekrempelten Ärmel des weißen Hemds bestens zur Geltung kamen. Mochte sie nach außen hin auch vorgeben, nicht interessiert zu sein, tief im Inneren musste sie sich das Gegenteil eingestehen.
Raoul öffnete gerade den Kofferraum, als sie hinzutrat. „Was ist das denn?“, entfuhr es ihr ungläubig.
„Wofür
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