Nach all diesen Jahren
dem Mauseloch verharrt?
Als sie am Vergnügungspark eintrafen, herrschte dort schon reger Betrieb. Oliver, dessen Aufregung von Minute zu Minute wuchs, schaute stumm und mit großen Augen auf diese Wunderwelt. Die Menschenmenge, die laute Musik, die Karusselle, der Anblick der Achterbahn – all das verschlug ihm buchstäblich den Atem.
„Und? Hast du es dir so vorgestellt?“, fragte Sarah leichthin, als Raoul mit Oliver von einer Karussellfahrt zurückkehrte. Sie hatte sich geschworen, diesen Tag souverän hinter sich zu bringen, komme, was da wolle. Eine schwierige Aufgabe, gestand sie sich ein, während sie sich dabei ertappte, wie sie das Spiel seiner Muskeln beobachtete, als er Oliver hochhob.
„Wenn du mit der Frage meinst, ob ich inzwischen mein inneres Kind entdeckt habe, muss ich dich leider enttäuschen. Ich fürchte, ich bin keiner dieser Loser, die ständig auf dem Selbstfindungstrip sind.“
Und doch hat er ein Picknick vorbereitet – etwas absolut Ungewöhnliches für ihn, dachte Sarah. „Vielleicht solltest du allmählich damit anfangen?“, schlug sie vor. Jetzt wäre doch ein geeigneter Zeitpunkt, um ihn daran zu erinnern, dass auch ich noch ein Privatleben habe. Es dreht sich nicht alles um Oliver und ihn. Er kann nicht einfach auftauchen und annehmen, ich stünde wieder zu seiner alleinigen Verfügung!
Vielleicht sollte ich mir das zuallererst selbst sagen, dachte sie unbehaglich. Denn eigentlich konnte sie nicht viel an Privatleben vorweisen. Die Stelle als Assistenzlehrerin lag erst einmal auf Eis, da sie ja wegziehen würde – und überhaupt war sie sich unschlüssig, was sie in Zukunft tun wollte. Eventuell wäre es besser, sich erst in der neuen Wohnung einzuleben, bevor sie sich wieder bei der Jobvermittlung meldete.
Wie selbstverständlich hatte sich ein Alltagstrott eingestellt, in dem sich ihr Leben um Oliver und Raouls Besuche drehte. Das muss sich ändern! Das ist einfach nicht gesund!
„Was ich eigentlich gemeint habe“, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf, „es geht weniger um dein inneres Kind als darum, einfach mal Spaß zu haben, einfach mal auszuspannen. Im Moment unternimmst du viel mit uns, aber irgendwann wird das aufhören, und wie ich dich kenne, wirst du dich wieder in dein hektisches Arbeitsleben stürzen. Man braucht einfach mal eine Auszeit … und das nicht nur als Ausnahmesituation!“
„Versuchst du gerade, einen Streit vom Zaun zu brechen?“
„Warum? Ich meine ja nur, man ist doch kein Loser, nur weil man ab und zu auch mal Spaß hat! Im Gegenteil! Es ist eine Stärke. Ich jedenfalls wünsche mir, einmal einen Partner zu finden, der das Leben auch genießen kann!“
Dummerweise schob sich vor das Bild dieses zukünftigen Partners Raouls Bild.
Dieser warf ihr jetzt einen düsteren Blick zu. Eigentlich hatte er angenommen, Sarah hätte die Pläne, ein wildes Singleleben zu führen, aufgegeben. Vernünftigerweise! Schließlich ließ sich das nicht mit ihren Mutterpflichten verbinden. Jetzt aber musste er feststellen, dass die Pläne offensichtlich nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben waren. Und das, obwohl sie sich doch deutlich immer noch zu ihm hingezogen fühlte. Das spürte er doch!
„Oliver sieht müde aus. Ich glaube, wir sollten allmählich mal etwas essen“, bemerkte er kühl, drehte sich auf dem Absatz um und ging in Richtung Auto.
„Ich glaube, wir sollten uns allmählich einmal darüber unterhalten, wie es in Zukunft weitergehen soll“, konterte Sarah. „Sobald wir umgezogen sind, müssen wir einen Plan machen, was Besuchszeiten und so weiter betrifft. Ich möchte endlich Ordnung in mein Leben bringen und endlich anfangen, wirklich zu leben.“
„Wirklich zu leben?“ Raouls Ton klang jetzt definitiv eisig. Er senkte die Stimme, damit Oliver, der seine Trophäe – einen Panda – aus dem Rucksack gezogen hatte und sich lebhaft mit ihm unterhielt, nichts mitbekam.
„Du musst doch zugeben, dass die letzten paar Wochen eine Art Ausnahmezustand waren. Für uns beide. Vielleicht hat das bei dir zu gewissen falschen Vorstellungen geführt … was mich betrifft.“ Sarah holte tief Luft und fuhr fort. „Also … jedenfalls … die letzten Wochen waren ungewöhnlich … Ich wette, du hast in deinem ganzen Berufsleben noch nie so wenig gearbeitet!“ Sie lachte bemüht heiter auf. „Aber jetzt wird es für uns beide Zeit, auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren.“
Inzwischen hatten sie den Wagen erreicht, der an
Weitere Kostenlose Bücher