Nach all diesen Jahren
Sarah zu Boden. Wenn sie nur daran dachte, wie sie ihm ihr Traumhaus bis ins kleinste Detail beschrieben hatte, trieb es ihr jetzt noch die Schamesröte ins Gesicht.
„Aber Großmutters Küchenherd , der Garten in der Nähe eines Bachs und der Kamin dürften machbar sein.“
„Ich glaube es nicht! Du erinnerst dich ja an die kleinste Kleinigkeit!“ Sie lachte gekünstelt auf, um ihre Verlegenheit zu verbergen.
„Du würdest dich wundern, an was ich mich noch alles erinnere!“
Ihm entging keineswegs das kurze Aufflackern in ihren Augen. Soll sie nur tun, als wäre sie nicht mehr interessiert, dachte er voller Genugtuung. Ihn konnte sie nicht täuschen. Da war eindeutig diese Elektrizität zwischen ihnen, dieses gewisse Etwas, das man nicht so einfach wegdiskutieren konnte.
„Ich weiß gar nicht mehr so viel von damals“, bemerkte Sarah mit einem achtlosen Schulterzucken.
„Komisch … warum glaube ich dir das jetzt nicht?“
„Keine Ahnung, und es ist mir auch völlig egal. Wenn du jetzt vielleicht die Güte hättest, die Zwiebeln zu schneiden …“
Sie floh aus der Küche, bevor Raoul noch etwas erwidern konnte. Wenn er sie mit diesem gewissen Blick ansah, könnte sie schwören, dass er bis auf den Grund ihrer Seele schaute. Ein sehr beunruhigender Gedanke. Früher hatte sie sich ihm gern geöffnet und ihre Gefühle mit ihm geteilt. Andererseits musste sie auch zugeben, ihr Unbehagen darüber verdrängt zu haben, dass er nie über eine gemeinsame Zukunft gesprochen hatte.
Er war eben jemand, der nahm und nie etwas gab. Sie sah ihm an, dass er immer noch an ihr interessiert war. Außerdem schwang bei allem, was er sagte, ein gewisser Unterton mit. Immer an der Grenze zum offenen Flirt. Sie hatte sich einmal mit ihm eingelassen. Glaubte er wirklich, sie würde dieselbe Dummheit zweimal begehen?
Sie kehrte mit Oliver in die Küche zurück, wo Raoul – wie befohlen – die Zwiebeln schnitt.
Sarah hob Oliver in seinen Kinderstuhl. Als Raoul zu ihr an den Tisch trat, hatte sie das Gefühl, ihr Körper würde in Flammen stehen.
„Bauklötze! Toll! Mein Lieblingsspielzeug!“, rief Raoul.
Er beugte sich über Sarah, die neben Oliver saß, stützte die Hände links und rechts von ihr auf die Tischplatte – und bewunderte demonstrativ die Bauklötze. Sie spürte die Wärme seines Atems in ihrem Nacken.
„Hast du das gehört, Oliver? Warum baut ihr beide nicht etwas für mich? Einen Turm zum Beispiel. Wie hoch war der Turm, den du letztens gebaut hast, bevor er umgefallen ist?“
„Zwölf Stock“, antwortete Oliver stolz. „Das weiß ich, weil ich nämlich schon bis fünfzig zählen kann“, fügte er hinzu, jedoch ohne Raoul dabei anzusehen.
„Das ist ja beeindruckend!“ Raoul beugte sich noch etwas weiter hinunter. Jetzt konnte er den frischen Duft von Sarahs Haar riechen.
Sie starrte wie hypnotisiert auf seine muskulösen Unterarme. Eine superteure Armbanduhr schmückte sein Handgelenk.
„Warum setzt du dich nicht zu Oliver, Raoul. Du könntest ihm helfen.“
„Ich brauche keine Hilfe, Mum.“
„Sieht ganz so aus. Offensichtlich kann er das Empire State Building ganz allein bauen“, stimmte Raoul seinem Sohn zu.
Oliver warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und widmete sich dann wieder seinem Bauprojekt.
Sarah hörte Raouls unterdrückten Seufzer, als er sich aufrichtete. Sie drehte sich um und sah ihn am Spülbecken stehen. Auf seinem Gesicht lag deutlich sichtbar die Enttäuschung über die neuerliche Niederlage.
Sie trat auf ihn zu. „Du musst ihm Zeit lassen“, flüsterte sie.
„Wie viel Zeit denn? Geduld ist nicht gerade meine Stärke.“
„Dann musst du das eben lernen. Übrigens – perfekt, wie du die Zwiebeln geschnitten hast.“
Den ganzen Abend über spürte sie hinter der bemühten Fassade seine brennende Ungeduld. Oliver verhielt sich ihm gegenüber zwar nicht feindselig, aber ziemlich zurückhaltend. Pflichtschuldigst beantwortete er Raouls Fragen, sah dabei jedoch immer zuerst fragend zu seiner Mutter. Nach dem Essen willigte er ein, mit nach draußen zu gehen und das Rennauto fahren zu lassen.
Vom Küchenfenster aus beobachtete Sarah seufzend, wie förmlich sie miteinander umgingen.
Eigentlich hatte sie Oliver sobald wie möglich sagen wollen, dass Raoul sein Vater war. Aber nun sah es so aus, als könnte es eine Weile dauern, bis der Junge Vertrauen zu ihm gefasst hätte. Oliver lenkte den Wagen in die Büsche und ging weg, als Raoul ihm einen Vortrag
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