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Nach all diesen Jahren

Nach all diesen Jahren

Titel: Nach all diesen Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Williams
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einer lauschigen, baumbeschatteten Stelle abseits des Hauptparkplatzes stand. Raoul riss den Kofferraum auf und zerrte die Picknicksachen heraus.
    Seine Stimmung war inzwischen auf dem Nullpunkt angekommen, aber er bemühte sich Olivers wegen, sich das nicht anmerken zu lassen. Er packte das Essen aus, das genügt hätte, um eine kleine Armee zu verköstigen, und stellte die Flasche Wein, an die der Caterer in weiser Voraussicht gedacht hatte, in den Kühler.
    Oliver stürzte sich auf die Köstlichkeiten und sein begeistertes Geplapper lockerte die gespannte Atmosphäre glücklicherweise etwas auf.
    Sie will also anfangen zu leben, ging es Raoul unablässig durch den Kopf. Warum eigentlich auch nicht? Sie ist noch jung und wird in Zukunft bedeutend weniger Sorgen haben. Als er sie so überraschend wiedergesehen hatte – auf dem Boden kniend mit dem Putzlappen in der Hand –, hatte man ihr deutlich angesehen, wie schwer ihr Leben war. Aber bereits jetzt blühte sie förmlich auf. Ihre Züge hatten den sorgenvollen Ausdruck verloren, sie wirkte entspannter und lebendiger. Warum sollte sie nicht endlich etwas Spaß haben? In Clubs und Discos gehen – all die Sachen, die junge Leute ebenso taten, und die ihr bisher versagt geblieben waren, weil sie sich und ihr Kind allein hatte durchbringen müssen.
    Eigentlich sollte er hocherfreut sein. Die Situation war geradezu perfekt. Er hatte sie damals verlassen, weil er keine Bindung eingehen wollte. Seine Meinung zu diesem Punkt hatte sich nicht geändert. Er gehörte nicht zu den Menschen, die ihre unglückliche Kindheit durch eine eigene Familie kompensieren wollten. Er hatte sich geschworen, seine Freiheit zu bewahren, koste es, was es wolle. Und obwohl er nun die Verantwortung für einen weiteren Menschen trug, bedeutete das noch lange nicht, dass er sich Hals über Kopf ins Familienleben stürzen musste. Wenn er eines gelernt hatte, dann dies: Verließ man sich ausschließlich auf sich selbst, konnte man auch nicht verlassen werden. Diese Überzeugung war sein Lebensmotto.
    Sicher, er fühlte sich immer noch zu Sarah hingezogen – er hatte noch nie so oft nachts kalt geduscht wie im Moment. Und auch sie fühlte sich zu ihm hingezogen – ob sie es zugab oder nicht. Trotzdem erklärte das nicht die Wut, die er bei der Vorstellung empfand, was sie wohl unter „ihr Leben leben“ verstand. Er war schließlich ein eher pragmatischer Typ. Würde er seiner Lust und Laune folgen und mit ihr ins Bett gehen, würde das die Situation ungemein verkomplizieren. Er sollte sie geradezu ermuntern, auszugehen und sich mit Freunden zu treffen. Auch ihrem Vorschlag, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen, Besuchszeiten zu regeln und so weiter, sollte er freudig zustimmen.
    An einem der nächsten Tage würde sie ihrem Sohn sagen, dass er sein Vater war. Damit wäre es überflüssig, diese „Scheinfamilie“ weiter aufrechtzuerhalten. Sarah hatte vollkommen recht. Oliver würde sich schon an die Regelung, die das gemeinsame Sorgerecht erforderte, gewöhnen. Die Situation war nicht perfekt … aber was war das schon. Und warum kann ich das trotzdem nicht akzeptieren? fragte er sich.
    Als sie schließlich gegessen und alles wieder im Korb verstaut hatten, war es deutlich abgekühlt. Auf der Rückfahrt schlief Oliver ein. Raoul stellte das Radio an, um zu verhindern, dass Sarah wieder zu einem ausführlichen Bericht über ihr künftiges Singleleben ausholte. Die Fahrt verlief in peinlicher Stille, bis Sarah die Spannung nicht mehr aushielt und anfing zu beschreiben, wie sie sich die Einrichtung des Hauses vorstellte. Sie beschrieb die Farben der Wände und die Muster der Tapeten, während Raoul starr auf die Straße blickte und nur antwortete, wenn es das Gebot der Höflichkeit absolut unumgänglich machte.
    Schließlich hielt Sarah erschöpft inne. Sie ertrug ihre eigene Stimme nicht mehr, die so bemüht fröhlich und unbeschwert klang. „Okay“, sagte sie unvermittelt. „Es tut mir leid, wenn ich dir den Tag verdorben habe.“
    „Habe ich das etwa behauptet?“
    „Das musst du gar nicht. Dein eisiges Schweigen sagt mehr als genug.“
    „Ich glaube, ich habe unmissverständlich klar gemacht, dass mich Wohnraumgestaltung nicht im Geringsten interessiert. Farben, Tapeten, Möbel … das ist mir alles völlig gleichgültig. Ich beauftrage ja sogar einen Innenarchitekten, um die Kunst an den Wänden auszusuchen.“
    „Aber dann ist es kein Zuhause. Also wirklich, Raoul!

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