Nach alter Sitte
Alten. Lorenz erwartete die Kommissarin Ella Kock, die sich über Rita am frühen Morgen für weitere Fragen angemeldet hatte.
»Wer macht denn so etwas Schreckliches?«, meinte Bärbel.
»Wenn der Maler des Bildes und der Absender dieser Nachrichten derjenige ist, der den Bauern erschlagen und jetzt auch diese Frau ermordet hat, dann bist doch auch du in größter Gefahr, oder nicht?«
»Das kann man nicht sagen«, grübelte Lorenz. »Aber warten wir doch mal ab, was die Kommissarin gleich zu sagen hat.«
»Kommt schon wieder die Polizei zu uns?«, fragte Benny, der an den Tisch getreten war. »Ich hatte gehofft, wir könnten zusammen zu der Grabungsstätte fahren, habe mir eben den heutigen Tag freigetauscht gegen Spät- und Nachtdienst ab heute Abend.«
»Warum nicht«, meinte Lorenz. »Allzu lange dürfte das auch vermutlich nicht dauern. Aber du weißt es ja noch gar nicht: In der Nacht haben wir ein weiteres Mordopfer in der Burg gefunden. Ziemlich gruselig, ich habe so gut wie nichts gesehen. Aber was ich gesehen habe, hat mir eigentlich auch schon gereicht.«
»Was?«, fragte der junge Pfleger. »Opa Bertold hat nicht alles gesehen, und es hat ihm gereicht? Das ist mal was ganz Neues!«
»Allerdings«, bestätigte Gustav. »Und weitere Neuigkeiten sind im Anmarsch. Die Kavallerie reitet ein.« Er wies auf den Eingang des Speisesaales, wo in diesem Moment Rita Bertold und Ella Kock auftauchten. Die beiden durchmaßen den Raum mit schnellen Schritten.
Lorenz stand auf und ließ sich von Rita umarmen. »Moin Opa«, sagte sie. »Wir haben eine lange Nacht hinter uns. Du musst uns alles erzählen, jede Kleinigkeit, egal wie unwichtig sie dir erscheinen mag.«
Ella Kock fügte hinzu: »Wir haben die Tote identifizieren können. Es handelt sich um eine Studentin der Archäologie namens Vera Distel. Vielleicht haben Sie das Mädchen schon bei dieser Buddelei auf dem Grundstück des ermordeten Naas gesehen.«
»Nein!«, schrie Benny auf. Er schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, stammelte er.
Bärbel stand auf und legte den Arm um den Jungen, der in diesem Moment in einem lautlosen Weinkrampf zu zucken begann.
Rita sagte: »Es handelt sich um die junge Frau, mit der Benny sich zuletzt auf der Grabungsstätte offenbar rasch angefreundet hat. Wir haben das alle gesehen, glaube ich. Sie war ein sehr attraktives Mädel, das ist gar keine Frage.«
»Und offensichtlich hatten die beiden sich schon sehr angefreundet, will ich meinen«, fügte Gustav hinzu, der ebenfalls um den jungen Mann besorgt aufstand.
Alexander Grosjean blieb noch einen Moment unschlüssig sitzen. Doch da er der Einzige war, der noch nicht aufgestanden war, tat er es den anderen nach und erhob sich ebenfalls.
Benny versuchte sich zu fassen und sah Rita an. »Ich war gestern Abend mit Vera zusammen. Hab sie nach Hause gebracht.«
»Nach Hause?«, fragte Ella Kock.
Benny schüttelte den Kopf. »Nein, ich meine ins Hotel. In Blens.«
»Verstehe«, sagte Ella. Dann fügte sie hinzu: »Oder vielleicht doch noch nicht so ganz. Sie sagten gerade, Sie beide waren zusammen. Meinen Sie damit – zusammen?«
»Ja«, antwortete Benny und schlug sich wieder die Hände vors Gesicht, um die erneut hervorschießenden Tränen zu verdecken. Lorenz hatte einen dicken Kloß im Hals. Er hatte den so fröhlichen jungen Mann noch niemals weinen sehen. Der Alte war froh, dass Bärbel dabei war und Benny im Arm hielt. Es schien den Jungen heftig erwischt zu haben, und wenn er dies nun – sicherlich einmal mehr als Letzter in der Runde bei solchen Dingen – richtig interpretiert hatte, waren sich die beiden jungen Leute nach dem ersten Kennenlernen sehr rasch nähergekommen. Lorenz beschloss, sich erst einmal zurückzuhalten, doch Ella Kock machte diesen Vorsatz sofort zunichte: »Opa Bertold, Sie und den jungen Mann müssen wir dringend sprechen. Die anderen werden uns entschuldigen müssen.«
Rita nickte Bärbel zu. Die verstand und ließ Benny los. Der junge Pfleger ließ sich wie willenlos von Rita wegführen. Ella Kock bedeutete Lorenz, den beiden zu folgen. Bärbel, Gustav und Alexander blieben ratlos und stumm zurück. Rita wählte den Weg in den Verwaltungstrakt, den sie aus etlichen Gesprächen mit der Heimleiterin Sybille Klinkenberg über ihren Opa mittlerweile gut kannte. Sie traten ins Vorzimmer der Leiterin. Silke Bauer, die Assistentin der Klinkenberg, blickte überrascht auf. »Frau Klinkenberg ist momentan
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