Nach alter Sitte
Kopf. »Das ist exakt die Nachricht, die ich in der Nacht per Computer bekommen habe.«
»Was bedeutet dieser Mist?«, fragte Ella.
Lorenz erklärte: »Das ist eine Anspielung auf Alveradis von Molbach, die Gattin des Grafen Wilhelm von Jülich, der zu Nideggen residierte. Es wird berichtet, dass Wilhelm seine Frau wegen angeblicher Untreue bestrafen wollte, indem er sie nackt und mit Honig beschmiert in einen Schandkorb an die Burgwand hängen ließ, damit sie von Insekten zerstochen werden sollte. Die Bürger von Molbach jedoch, die ihre Herrin liebten, befreiten die arme Frau aus dem Korb, als Wilhelm nach Köln in den Puff geritten war. Sie überlebte also.«
»Anders als Vera«, meinte Rita.
Lorenz nickte bekümmert. »Allerdings. Wenn ich schneller geschaltet hätte, könnte das arme Ding vielleicht noch leben. Das war ja offenbar ein Rätsel, eine Aufgabe für mich. Und ich alter Depp habe offensichtlich auf ganzer Linie versagt.«
»Nein«, antwortete Ella Kock entschieden. »Der Mörder musste wissen, dass eine Rettung unmöglich war. Vermutlich war sie bereits tot, als er diese Email geschrieben hat. Sie hätten gar nichts für sie tun können.«
»Aber vielleicht will er dich quälen«, vermutete Rita. »Du sollst glauben, dass du das Mädel hättest retten können.«
»Ich verstehe das alles nicht«, sagte Benny. »Vera hat doch niemandem etwas getan. Und sie kennt Opa Bertold gar nicht.«
»Aber der Mörder kennt ihn«, meinte Rita. »Die arme Vera Distel war vermutlich einfach nur ein passendes Opfer für einen perfiden Plan, den wir noch nicht kennen.«
»Vera Distel?«, wiederholte Lorenz.
»Ja, so hieß das Mädchen. Das sagten wir eingangs schon.«
»Vera Distel«, sinnierte Lorenz. »Da habe ich eben wohl noch nicht geschaltet. Alveradis – Vera Distel. Merkt ihr das nicht? In dem Namen des Mädchens steckt der Name Alveradis.«
»Das ist kein Zufall!«, stieß Ella hervor. »Kann keiner sein!«
»Sehe ich auch so«, bestätigte Rita. »Und das bedeutet, dass es einen Zusammenhang gibt. Wurde das Mädchen wegen des Namens ausgesucht? Dann muss der Mord von langer Hand geplant worden sein. Die Namensgleichheit, die Sache mit dem Schandkorb, die Behandlung ihres Körpers. Das war geplant.«
»Damit fällt mein Theorie wohl weg«, murmelte Lorenz vor sich hin.
»Welche Theorie?«, fragte Rita.
»Nun, Alveradis wurde von ihrem Gatten so bizarr bestraft wegen angeblicher Untreue. Und wenn das Mädchen einen Freund gehabt hätte, der sie gestern mit Benny zusammen gesehen hat ...«
»Nicht schlecht kombiniert«, meinte Ella. »Aber es ist völlig unmöglich, in einer Stunde diesen Plan zu fassen und umzusetzen.«
Lorenz nickte. »Es sieht also so aus, als wenn hier jemand nach alter Mörder Sitte unterwegs wäre. Der Wilhelm Naas wurde mit einem Hammer erschlagen wie Wilhelm der Vierte, und die arme Vera Distel wurde nach dem Vorbild der Alveradis von Molbach gerichtet. Dies muss geplant gewesen sein. Dafür sprechen auch die Nachrichten, die an mich gehen.«
»Und wieso an dich?«, fragte Benny.
»Das ist eine gute Frage, mein lieber Junge. Einerseits muss der Mörder wissen, dass ich mich in der Geschichte der Eifel auskenne. Die historischen Hintergründe dieser Untaten sind mir wohlbekannt. Zudem ist davon auszugehen, dass mich mit dem Mörder etwas Persönliches verbindet.«
»Was mit Gerda zusammenhängt«, ergänzte Rita.
Lorenz nickte. »Gerda. Wenn wir wüssten, was ihr damals zugestoßen ist, wären wir der Lösung sicherlich ein gutes Stück näher. Hast du dir den Fall noch einmal angeschaut?«
»Ja«, sagte Rita. »Aber auf die Schnelle hab ich nichts Griffiges entdeckt. Paul hat sich dieser Sache angenommen.«
»Gut«, meinte Lorenz. »Dein großer Freund ist ein guter Bulle. Wenn da in den Akten noch etwas drin ist, was bisher übersehen worden ist, dann könnte er es finden – oder du.«
Rita legte ihrem Großvater eine Hand auf die seine und drückte sie. »Wenn es da etwas gibt, wird Paul es finden.«
23. Kapitel
Lorenz sah Benny hinterher, der gedankenverloren und mit gesenktem Kopf der Grabungsstätte den Rücken kehrte und langsam in Richtung Waldrand ging, wo sich der Grillplatz befand.
»Lass ihn gehen«, sagte Bärbel und legte Lorenz eine Hand auf die Schulter. »Er braucht jetzt ein bisschen Zeit für sich und seine Gefühle und Erinnerungen.«
»Ja, das ist hart«, meinte Gustav. »Gerade frisch verliebt und so brutal getrennt. Das kann ein junges
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