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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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jener, die mir Davids Gründe entschlüsseln soll. Auf dieser anderen Liste ist sie der letzte verbliebene Punkt, alle übrigen habe ich abgehakt oder, wie bei N., T. und F., weitere Nachforschungen entweder als sinnlos oder als zu gefährlich verworfen. Doch ich bezweifle, dass sie ein Punkt auf einer Liste sein möchte, die dazu dient, anderen Leuten als David die Verantwortung für den Tod ihrer Freundin Katja in die Schuhe zu schieben. Ich jedenfalls würde an ihrer Stelle wahrscheinlich keinen anderen in der Verantwortung sehen wollen als denjenigen, der den Abzug der Waffe betätigt hat.
    Sie steht vor mir, und ich halte ein bisschen mehr Abstand, als ich es sonst bei Leuten tue, etwa zwei Meter sind zwischen uns. Ich habe Angst, dass sie wieder anfangen könnte zu weinen und zu schreien, so wie beim letzten Mal. Doch sie schaut mir einfach nur in die Augen.
    Â»Können wir mal miteinander reden?«, frage ich.
    Â»Ich habe jetzt Schluss.«
    Ich bin mir nicht sicher, ob das bedeutet, dass sie Zeit zum Reden hat. Vielleicht will sie damit eher sagen, dass sie nach Schulschluss etwas Besseres zu tun hat, als sich mit mir zu unterhalten. Eine Freundin, die sich beim letzten Mal, als sie so ausgerastet ist, um sie gekümmert hat, kommt auf uns zu, sie scheint ebenfalls keinen Unterricht mehr zu haben.
    Â»Brauchst du Hilfe, Jenny?«, erkundigt sie sich.
    Jenny schüttelt den Kopf. Die andere bleibt neben ihr stehen. Sie hat dunkle Haare, aber sie sehen gefärbt aus, außerdem hat sie jede Menge Sommersprossen im Gesicht und an den Armen.
    Â»Was willst du?«, fragt mich Jenny, es klingt kühl, beinahe schroff.
    Â»Weißt du, ich habe immer wieder überlegt, was meinen Bruder dazu gebracht haben könnte.«
    Jenny schaut mir unverwandt in die Augen, als dürfe sie es sich unter keinen Umständen erlauben wegzusehen. Ich selbst wende hin und wieder den Blick ab, schaue zu Boden oder an ihr vorbei, einerseits, weil es mir schwerfällt, ihrem Blick standzuhalten, andererseits aber auch, weil ich glaube, dass es ihr helfen könnte, wenn ich diese Schwäche vor ihr demonstriere. So unwohl ich mich damit fühle, es geht jetzt nicht um mich. Und eigentlich ist es ein Wunder, dass sie überhaupt bereit ist, mir zuzuhören, nachdem sie mich dank Sandras Gerüchteküche offenbar für Davids Mitwisserin hält oder sogar glaubt, ich sei an der Planung seiner Tat beteiligt gewesen.
    Â»Es gab wohl mehrere Dinge, mit denen er Probleme hatte«, fahre ich fort. »Eines davon soll eine Wette gewesen sein. Eine Wette zwischen Katja und ein paar ihrer Freundinnen. Vielleicht weißt du etwas darüber?«
    Â»Was für eine Wette?«, mischt sich die Sommersprossige ein.
    Ihre Neugier scheint so ziemlich das Einzige zu sein, was sie davon abhält, mir an die Gurgel zu gehen. Ich wünschte, Jannik käme jetzt zufällig vorbei und würde sich neben mich stellen, damit ich auch jemanden an meiner Seite hätte. Oder Kim. Mit Kim würde ich mich stark fühlen. Sie würde die beiden Mädchen genau einzuschätzen wissen und hätte die richtigen Antworten für sie. Ich hingegen habe nicht einmal die richtigen Fragen.
    Â»Wusstet ihr, dass Katja mal was mit David hatte?«
    Â»Ja, das stimmt«, bestätigt Jenny nach kurzem Zögern.
    Beide sehen mich abwartend an. Mir wird bewusst, dass ich die Sache mit der Wette noch nicht erklärt habe.
    Â»David hat dann erfahren, dass Katja sich nur wegen einer Wette, die sie mit ein paar Freundinnen laufen hatte, an ihn rangemacht hat. Wer als Letzte von ihnen noch Jungfrau wäre, müsste sich an einen Lehrer ranschmeißen. Sie hat sich wohl nur mit ihm eingelassen, um nicht die letzte Jungfrau zu sein. Ich weiß nicht, ob das alles wirklich stimmt, ich habe es von jemandem gehört, den ich gar nicht persönlich kenne.«
    Nach diesen Sätzen bin ich auf alles gefasst, auf Beschimpfungen, auch auf körperliche Angriffe. Nachdem ich ihnen so etwas über ihre tote Freundin gesagt habe, würde mich nichts mehr wundern. Aber die beiden bleiben ruhig.
    Â»So eine Wette gab es nicht«, sagt Jenny, und irgendwie spüre ich, dass es die Wahrheit ist. Ihre Augen lassen keinen anderen Schluss zu.
    Â»Katja hat David geliebt«, ergänzt die Sommersprossige.
    Ich schüttele den Kopf.
    Â»Das kann ich mir nicht vorstellen. David war total verliebt in Katja, und sie

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