Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
Vom Netzwerk:
meiner Klasse die Aufgaben der letzten Tage zu besorgen, um sie mir nachher vorbeizubringen.
    Die Frikadellen schmecken gut, aber im Vergleich zu denen, die Stefan zubereitet, sind sie nur Mittelmaß. Ich könnte Mama in Zukunft vielleicht ab und zu beim Kochen zur Hand gehen und ihr ein paar Tricks verraten, die ich mir bei Stefan abgeschaut habe.
    Â»Morgen gehst du aber wieder zur Schule, Maike«, sagt Papa. Sein Ton ist vorsichtig, aber bestimmt.
    Â»Darüber wollte ich mit euch sprechen.«
    Â»Ach, deine Noten«, sagt Mama und seufzt.
    Â»Die schlechten verteilen sich ganz gut«, eröffne ich meine Verteidigungsrede. »Es zieht mich halt nur überall ein bisschen runter. Ich kriege das wieder hin. Und was wir in den letzten Wochen jetzt noch schreiben, das wird besser sein. Ich verspreche es euch.«
    Sie schauen sich zunächst ein wenig zweifelnd an, scheinen dann aber doch halbwegs überzeugt, dass ich es wieder in den Griff bekommen kann.
    Â»In die Elfte schaffe ich es auf jeden Fall.«
    Â»Dein schöner Durchschnitt«, jammert Mama.
    Um Papas Mundwinkel herum zuckt es. Er will es nicht, aber er muss schmunzeln. Mir geht es nicht anders. Dein schöner Durchschnitt klingt aber auch irgendwie schräg.
    Â»Findet ihr das etwa lustig?«, empört sie sich und muss dann selbst lachen.
    Schließlich werden wir wieder ernst. Wir kippen weiterhin ständig von einer Stimmung in die andere. Wir schaffen ein oberflächliches Eintauchen in etwas, das wir lange nicht mehr hatten, und finden uns dann ziemlich schnell in der Entfremdung der vergangenen Monate wieder. Das ist anstrengend. Ich glaube, daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Nicht, solange die äußeren Umstände noch die alten sind. Aber ich weiß jetzt, dass ich zumindest meine eigenen äußeren Umstände ändern kann.
    Â»Ich möchte nach den Sommerferien die Schule wechseln.«
    Beide hören auf zu kauen. Papa schiebt ein Stückchen Frikadellenkruste auf seinem Teller herum. Die Frikadellen sind beim Anbraten auf der einen Seite etwas zu dunkel geraten.
    Â»Das halte ich für vernünftig«, sagt er.
    Â»Wir hätten dich gar nicht erst dorthin zurückgehen lassen dürfen«, bekräftigt Mama. »Wenn ich nur daran denke, wie sie dich behandelt haben. Warum hast du uns bloß nichts davon erzählt?«
    Â»Ich wollte euch nicht noch mehr Ärger bereiten. Die Situation hat euch doch schon genug fertiggemacht, auch ohne meine Probleme.«
    Sie sehen aus, als würden sie sich schämen. Dafür, das Geschehene nicht bewältigt zu haben. Dafür, mir keine guten Eltern gewesen zu sein.
    Â»Jannik möchte mit mir zusammen wechseln«, fahre ich fort. »Er sagt, er wird mich ab jetzt nicht mehr allein lassen.«
    Mama lächelt verträumt. So habe ich sie lange nicht mehr gesehen. Sie ist eigentlich total romantisch veranlagt, auch wenn diese Seite in letzter Zeit nicht mehr zum Vorschein gekommen ist. Von ihr muss David sein Faible für Gedichte gehabt haben. Ihre romantische Ader ist mir oft peinlich gewesen, vor allem, wenn sie ihre Gefühlsanwandlungen im Beisein von Jannik hatte und mit verklärtem Blick über die erste große Liebe philosophierte, während Jannik und ich am liebsten im Boden versunken wären.
    Â»Um die erste große Liebe muss man kämpfen«, sagt sie jetzt.
    Früher hat sie Papa immer über den Arm gestreichelt, wenn sie an ihm vorbeigegangen ist. Nun wirft sie ihm einen liebevollen Blick zu, weil er ihre erste und einzige große Liebe ist, und er legt ganz behutsam seine Hand auf ihre. Normalerweise wären mir solche Liebesbekundungen meiner Eltern total unangenehm, doch jetzt gerade bin ich froh darüber, dass es Reste dieser Liebe noch gibt, dass meine Eltern sie am Ende nicht verloren haben wie David und Katja die ihre und dass auch Jannik und ich unsere Liebe retten konnten. Holtmann würde bestimmt klugscheißen, dass jede Liebe immer wieder aufs Neue gerettet werden muss und dass das auf jeden Fall möglich ist. Aber Fakt ist auch, dass nur wenige Liebesbeziehungen langfristig halten. Doch wenn man es einmal schafft, eine Beziehung zu retten, dann kann man es immer wieder schaffen, und für meine Eltern war es garantiert nicht das erste Mal.
    Â»Jannik wird dir in den letzten Wochen an der alten Schule sicher beistehen«, sagt Mama.
    Ich nicke. Er wird mir beistehen.

Weitere Kostenlose Bücher