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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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das auch. Nein, falsch! Ich will viel mehr als David, denn der hat die Schule, diese verdaubare Riesenfrucht, ganz gelassen und nur ein paar Kerne herausgerissen.

22
    In den letzten Tagen habe ich viel nachgedacht. In erster Linie darüber, was ich tun kann und was nicht. Da sind zunächst Norman, Farin und Tobias. Mich mit ihnen anzulegen, wäre viel zu gefährlich – zu viel Angst habe ich davor, dass sie dann Ähnliches mit mir machen wie mit David. Oder sogar Schlimmeres. Zur Polizei kann ich nicht gehen, auch ein anonymer Hinweis würde überhaupt nichts bringen, weil ich keine Beweise habe, dass sich tatsächlich diese drei hinter den Buchstaben in Davids Blog verbergen. Ich kann ja nicht einmal beweisen, dass es wirklich David war, der diesen Blog verfasst hat.
    Aber zwei andere Konfrontationen kann und muss ich suchen. Die eine, um vielleicht mehr über Davids Gründe zu erfahren, die andere, um Jannik die Augen zu öffnen.
    Der iPod in der Brusttasche meiner Jeansjacke zeichnet auf, als ich Sandra in dem kleinen Toiletten-Vorraum in der Nähe unserer Klassenzimmer abpasse. Sie kommt gerade aus dem hinteren Bereich, wo die Kabinen sind, stutzt kurz, als sie mich sieht, dann geht sie zum Waschbecken. Außer uns beiden ist niemand hier.
    Â»Du hast dem Kettner gesagt, es sei niemand mehr im Saal. Hab ich recht?«
    Sie wäscht ihre Hände sehr sorgfältig und trocknet sie ebenso sorgfältig ab, bevor sie endlich antwortet.
    Â»Du bist ja paranoid.«
    Sie sagt es so abfällig wie möglich.
    Â»Wie kann man nur dermaßen feige sein«, versuche ich sie zu provozieren. »Gib es wenigstens zu!«
    Jetzt kramt sie einen Lipgloss aus ihrer Hosentasche und pinselt damit an ihrem Mund herum. Dabei betrachtet sie sich selbstgefällig im Spiegel.
    Â»Wenn du über alles so gut Bescheid wüsstest, wie du offensichtlich glaubst, warum hast du dann nicht gemerkt, was dein liebes Brüderchen vorhatte?«
    Sie steckt den Lipgloss wieder in die Hosentasche und will durch die Tür auf den Flur hinaus. Sobald sie draußen ist, werden Jannik und die anderen in Sichtweite sein. Dort werde ich mit Sicherheit kein Geständnis mehr von ihr bekommen.
    Â»Ich kann dir sagen, warum ich nichts gemerkt habe.«
    Sie bleibt stehen und dreht sich zu mir um.
    Â»Weil er nicht wollte, dass jemand etwas merkt. Niemand hat es gemerkt. Nicht ich, nicht unsere Eltern, nicht seine Freunde. Und du an meiner Stelle hättest es genauso wenig gemerkt. Weil er es nicht wollte.«
    Ich glaube selbst nicht, was ich da sage, aber es klingt wie etwas, das von Holtmann stammen könnte, ein schöner Erklärungsversuch, der mich von jeglicher Schuld freispricht. Es muss Sandra aber auch gar nicht überzeugen, das ist nicht der Sinn der Sache. Es muss sie nur dazu bringen, weiter mit mir zu reden und sich irgendwann zu verraten.
    Â»Schau an, jetzt versucht sie, sich zu rechtfertigen«, grinst sie.
    Ihre Überheblichkeit fühlt sich schrecklich an, aber meine Worte haben ihren Zweck erfüllt. Sandra denkt im Moment nicht daran, nach draußen zu gehen.
    Â»Was bringt dir das alles?«, frage ich. »Warum musst du so was machen? Unwahrheiten über mich erzählen und mich in den Saal einsperren?«
    Â»Du meinst, ich brauche besondere Gründe dafür, jemanden wie dich nicht zu mögen? Also, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, Maike: Keiner hier mag dich.«
    Was sie sagt, tut weh, obwohl es das nicht sollte. Nichts, was aus dem Mund einer dermaßen intriganten Zicke kommt, sollte wehtun. Ich zwinge mich dazu, mich auf mein Ziel zu konzentrieren. Gleich habe ich dich so weit.
    Â»Außer dir versucht aber niemand, mich fertigzumachen.«
    Â»Ich versuche gar nichts.«
    Â»Ist es, weil du was von Jannik willst?«
    Sie presst die Lippen zusammen und geht, ohne noch eine Sekunde zu zögern, auf den Flur hinaus. Hätte ich bloß Jannik nicht erwähnt! Ich hätte wissen müssen, was das bei ihr auslösen würde. Ich habe es vermasselt. Sandra hat nichts zugegeben, weil mein Plan einfach nicht ausgereift war und ich die sachliche Schiene verlassen habe. Ich hatte eine echte Chance und habe sie verspielt.
    Als ich in der zweiten großen Pause auf das fremde Mädchen zugehe, rechne ich mit dem Schlimmsten. Sie ist nach Sandra der zweite Punkt auf meiner Liste. Eigentlich ist sie Teil einer ganz anderen Liste, nämlich

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