Nach dem Amok
und als David einfach nicht kapieren wollte, dass Schluss ist, hat Nicole sich das mit der Wette ausgedacht. Katja hat davon nie etwas erfahren, aber es hatte zumindest den Effekt, dass David sie erst mal in Ruhe lieà und ihr das Leben nicht noch schwerer machte.«
Er sieht in den Rückspiegel und beobachtet Nicole. Sie summt jetzt leise den Song mit, den sie gerade hört. Green Day mit Know Your Enemy .
Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass Katja für David wirklich etwas empfunden haben will. Was Ben bisher erzählt hat, hat mich noch nicht überzeugt.
»Katja und Nicole haben zuerst versucht, wegen der Erpressung mit ihrem Lehrer zu reden«, fährt Ben fort. »Aber irgendwie sind sie da auf taube Ohren gestoÃen. Dann kamen sie auf die Idee, mich zu bitten, etwas zu erledigen, das keine von ihnen machen konnte. Etwas, wozu man einen groÃen Bruder braucht.«
»Und wozu braucht man den groÃen Bruder?«, frage ich, weil er anscheinend schon wieder Gefahr läuft, sich in seinen Gedanken zu verlieren. Er sieht mich an.
»Sie brauchten jemanden, der nicht mehr auf diese Schule ging«, sagt er. »Jemanden, den diese drei Typen nicht terrorisieren konnten, jedenfalls nicht so leicht. Ich glaube sowieso, dass die sich vor allem an Jüngeren vergriffen haben, die den Schulweg nicht in einer Gruppe gemacht haben und die sie irgendwo allein abfangen konnten. Tja, auf jeden Fall sollte ich David sozusagen freikaufen. Katja hat mir all ihre Ersparnisse gegeben. Die drei sollten wöchentlich einen bestimmten Betrag von mir erhalten und dafür sollten sie David in Ruhe lassen. Das wäre der Deal gewesen. Sie haben sich einverstanden erklärt. Ist uns egal, woher der Schotter kommt, haben sie gesagt. Der Idiot hat eh nur Probleme gemacht, der wird sich früher oder später bestimmt beim Klauen erwischen lassen, meinten sie.«
»Es waren also tatsächlich Norman, Tobias und Farin, die ihn erpresst haben?«
»Ja, diese drei. Du warst dir nicht sicher?«
»Nein, ich kannte nur die Anfangsbuchstaben ihrer Namen. Aus Davids Blog. Dachte mir aber, dass sie es sind. Ist eine lange Geschichte.«
»Ach so.«
»Und die glaubten wirklich, das Geld sei von dir?«
»Ja.«
»Wollten die nicht wissen, warum du für David zahlst?«
»Doch, klar. Ich habe behauptet, ich sei ihm etwas schuldig, er hätte mir mal aus der Klemme geholfen. Mehr bräuchten sie nicht zu wissen.«
»Und das haben sie so akzeptiert?«
»Fürs Erste schon. Ich glaube, denen war wirklich vor allem die Kohle wichtig. Und Katjas Geld hätte eine ganze Weile gereicht. Währenddessen hätten wir uns etwas Neues einfallen lassen können. Eine langfristige Lösung. Ich wollte Katja überreden, mit David zur Polizei zu gehen. Aber davor hatte sie Angst.«
»Klingt, als hätte sie sich echt fair verhalten und für den Anfang einen guten Plan gehabt. Aber irgendwas muss ja wohl schiefgelaufen sein.«
»Katja wollte David alles sagen. Dass er sich keine Sorgen mehr machen muss wegen der Erpresser. Aber er ging ihr aus dem Weg, sicher wegen der angeblichen Wette, die Nicole sich ausgedacht hatte. Und dann war es zu spät. Bevor Katja mit ihm über den Deal mit den Erpressern sprechen konnte, wobei sich wahrscheinlich auch das Gerücht mit der Wette aufgeklärt hätte, hat er ⦠Es ging um ein, zwei Wochen. Mann, hätten wir David gleich eingeweiht in das, was wir vorhatten, wäre das alles nicht passiert!«
Es hört sich so verrückt an. Ich will das nicht glauben. Es klingt wie eine erfundene Geschichte, etwas so Verfahrenes kann es doch im echten Leben gar nicht geben. Jeder wollte dem anderen helfen, jeder wollte das Richtige tun. David, indem er Katja die Erpressung verschwieg, Katja, indem sie David freikaufen wollte, Nicole, indem sie die Wette erfand und dann Ben ins Boot holte, und Ben, indem er mit Norman, Farin und Tobias sprach. Niemand wollte etwas falsch machen, und was kommt dabei heraus? Zwei Menschen lieben sich, versuchen, sich gegenseitig zu schützen, und am Ende sind beide tot. Nur die Arschlöcher, die das alles verursacht haben, leben.
Ben scheint seinen Worten nichts mehr hinzufügen zu wollen. Obwohl ich mir am liebsten einreden würde, dass es nicht so ist, bin ich mir sicher, dass alles, was er gesagt hat, die Wahrheit war, auch wenn diese Wahrheit so absurd ist und
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