Nach dem Amok
mit dem Handyfoto nicht. Ihr kriegt mich nicht klein!«
»Du hast also immer noch nicht genug?«
»Von dir schon lange.«
»Wie herzig, jetzt muckt sie auch noch auf!«
»Ich kapiere echt nicht, wieso Jannik mit jemandem wie dir befreundet sein will.«
»Vielleicht will er bald noch viel mehr von mir. Ist nicht so toll, wenn die eigene Freundin nicht mehr mit einem schläft.«
Sie wartet meine Reaktion nicht ab, sondern macht auf dem Absatz kehrt und marschiert zu ihrem Saal. Dort angekommen dreht sie sich noch einmal um, und ihr Blick fängt genüsslich alles auf, was ich in meinem Gesicht bis zu dieser Sekunde noch nicht wieder in den Griff bekommen habe. Mir ist übel. Mir ist schwindelig. Ich kann nicht glauben, dass Jannik ihr davon erzählt hat. All das muss für sie in diesem Moment sichtbar sein, es muss mir aus dem Gesicht herausspringen. Sie kann das nur von Jannik wissen. Er hat ihr davon erzählt.
Sandra ist fort. Ich bemerke Romy, die traurig zu mir rübersieht und sich dann schnell wieder Marc zuwendet. Ich sehe Patrick, der mein Gespräch mit Sandra zumindest optisch verfolgt haben muss, nachher wird sie ihm alles darüber berichten. Ich nehme so viele Körper auf dem Flur wahr, ich höre so viele Stimmen. Ich sehe hinunter auf meine rechte Hand und denke daran, wie Kims Finger sich darauf angefühlt haben.
Ich kann mir vorstellen, was Jannik antworten wird, wenn ich ihn auf Sandras Bemerkung anspreche. Natürlich habe ich mit ihr darüber gesprochen, wird er sagen, was hast du denn gedacht. Sie ist meine beste Freundin. Und sie ist eine Frau. Ich dachte, sie kann das vielleicht besser verstehen als ich und es mir begreiflich machen. Denn ich verstehe dich nicht mehr, Maike. Ich verstehe dich einfach nicht mehr.
25
Der Nagellack auf ihren Zehen ist an den Rändern abgeblättert. Sie hat aufgehört, auf ihr Erscheinungsbild zu achten. Es ist, als hätte sie jetzt erst mitbekommen, dass es nicht nötig ist, sich hübsch zu machen, wenn man nicht unter Leute geht. Ihre Haare sind immer öfter strähnig, früher wäre das nie passiert.
Er scheint ihr verändertes ÃuÃeres nicht zu bemerken oder es stört ihn nicht. Er ist mit anderen Dingen beschäftigt. Ich kann mir denken, womit. Vor einigen Tagen, als ich allein zu Hause war, kam ein Anruf. Es war irgendein Kollege aus dem Büro, der seinen Namen nicht nannte und sagte, ich solle meinem Vater ausrichten, dass er sich die Beförderung abschminken könne. Einen wie ihn würde man nie mit diesem Posten betrauen, das würden er und die anderen zu verhindern wissen und der Chef sei ja auch nicht blöd. Ich habe aufgelegt, bevor er auflegen konnte, wenigstens das. Von dem Anruf habe ich niemandem erzählt, aber ich bin mir sicher, dass im Büro die Dinge nicht viel anders laufen als bei mir in der Schule.
Erstaunlicherweise reden meine Eltern wieder mehr miteinander als noch vor ein paar Wochen, wahrscheinlich, weil sie sonst keinen mehr zum Reden haben. Mich allerdings binden sie kaum in ihre Unterhaltungen mit ein, weil ich dazu neige, das Gespräch in eine Richtung zu lenken, die ihnen nicht passt. Sie reden über Fernsehsendungen, leere Getränkekisten und tropfende Wasserhähne. Sie reden nicht über David oder die Schule.
Mit ihren Flip-Flops, in denen die abgeblätterten Nagellackzehen wie die ausgefransten Blütenblätter der Nelken aussehen, die sie regelmäÃig zum Friedhof bringt, schlurft sie durch die Küche und bleibt vor dem Fenster stehen. Sie blickt hinaus auf die StraÃe, sehr lange, obwohl dort niemand zu sehen ist.
»Kann ich mir ein Brot schmieren oder essen wir bald?«, frage ich.
»Ach Gott, das Essen«, sagt sie. »Das habe ich ganz vergessen.«
»Ist nicht schlimm.«
»Wir haben noch Tiefkühllasagne. Die kann auch in die Mikrowelle.«
»Ist okay.«
Die Lasagne kommt als schwerer, harter Klotz aus dem Gefrierfach, umschlossen von bunt bedrucktem Kartonpapier, auf dem ein appetitlicher Serviervorschlag prangt, der mit dem Inhalt wahrscheinlich wenig gemein hat. Es poltert ein bisschen, als ich das gefrorene Ding auf die Arbeitsplatte lege.
»Nicht da drauf, Maike, es wird doch alles nass!«
»Reicht die für uns beide?«
»Bestimmt. Ich habe keinen groÃen Hunger.«
Ich reiÃe den Deckel ab, stelle den Klotz in die Mikrowelle. Wir stehen vor dem
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