Nach dem Amok
dass es mir nicht geschmeckt hat und ich mich beschweren könnte. Romys Becher ist längst verschwunden.
Ich stecke mein Handy zurück in die Hosentasche und berühre dabei eine Visitenkarte, die ich dort irgendwann einmal bei einem meiner Ausflüge durch die Wohngebiete griffbereit deponiert habe. Mittlerweile ist sie zerknittert und nicht mehr zu gebrauchen. Seit ich Kim kenne, habe ich keine neuen Visitenkarten mehr drucken lassen. Auch die alten verteile ich kaum noch. Es ist, als würde ich sie nicht mehr benötigen, als würde Kim all das ersetzen, was mir zuvor die Karten gegeben haben. Jemand sein zu können, der nicht mit diesem furchtbaren Makel herumläuft.
Als Kim die Eisdiele betritt, steht der Eisbecher immer noch vor mir. Ich rühre darin herum, in diesen letzten Resten, die von Romys Freundschaft übrig geblieben sind. Als ich bestellt habe, wusste ich noch nicht, was gleich passieren würde. Ich hatte Banane, Nuss und Schoko.
»Räumen Sie das bitte ab«, sagt Kim zur Bedienung, die sofort auf den neuen Gast zugesteuert ist.
Der Eisbrei wird mir weggenommen, und eigentlich möchte ich ihn gar nicht hergeben, doch ich mache kein Theater. Wie sollte ich das auch erklären? Lassen Sie das stehen, ich bin noch nicht fertig, ich will den Matsch noch ein bisschen anschauen. Im Gegenzug für den Eisbrei lässt die Bedienung zwei Speisekarten da.
»Komm, ich lade dich auf einen Milchshake ein«, sagt Kim und nimmt mir gegenüber Platz, dort, wo vor nicht mal einer Dreiviertelstunde noch Romy gesessen hat.
»Ich glaube, ich sollte jetzt heulen«, murmele ich. »Das tut man doch eigentlich, wenn man jemanden verliert. Ich bin sogar ziemlich gut im Heulen, gerade in letzter Zeit. Aber irgendwie â¦Â«
»Nein, du solltest nicht heulen. Nicht wegen jemandem, der dich fallen lässt wegen eines Gerüchts. Allerdings fürchte ich, dass das noch kommen wird, das mit der Heulerei. Hat dich ganz schön schockiert, dass diese Romy sich so von dir abgewendet hat, nicht wahr?«
Ich nicke. Sie greift nach meiner Hand, legt ihre darauf. Als sie das tut, spüre ich es. Meine Haut ist lebendig. Nicht nur ein bisschen, sondern richtig. Da ist nichts Fremdes, nichts, was zwischen Kims Haut und meiner steht. Nicht wie bei Janniks Berührungen. Es ist meine Haut, so wie sie früher war. Kim lässt ihre Hand auf meiner liegen und ich bin froh darüber.
»Du hast nicht so viele Freunde, habe ich recht?«
»Nein, so viele sind es nicht, seit meine ehemalige beste Freundin nach Schweden gezogen ist«, gebe ich zu.
»Das macht nichts«, sagt sie. »Ich habe eigentlich auch nur bessere Bekannte. Verlassen kann man sich auf die nicht. Ich glaube, was du brauchst, ist eine beste Freundin. So eine richtige, echte. Jemanden, auf den du dich hundertprozentig verlassen kannst. Und es trifft sich doch ganz gut, dass ich so jemanden auch nicht habe.«
»Machst du mir gerade einen Antrag?«
»Klar, einen Best-Friends-Forever-Antrag!«, lacht sie.
»Ohne Rosen und Kniefall?«
»Verzeih mir, du hast natürlich recht!«
Sie lässt meine Hand los und nimmt die Blumendeko vom Tisch, ein winziges Töpfchen mit einer künstlichen gelben Blume. Dann rutscht sie von ihrem Stuhl, fällt vor mir auf die Knie und streckt mir das gelbe Ding entgegen. Obwohl die Situation irgendwie peinlich ist, weil uns alle anglotzen, sowohl die Gäste als auch das Personal, muss ich lachen. Die Bedienung, die sich gerade angeschickt hatte, an unseren Tisch zu kommen, um die Bestellung aufzunehmen, hält für einen Moment irritiert Abstand, dann kommt sie unsicher näher.
»Wir hätten gern zwei Milchshakes«, tönt Kim aus ihrer erniedrigten Position. »Welche Sorte möchtest du?«
»Banane.«
»Sie haben es gehört. Banane für die Dame. Ich nehme Erdbeer.«
Als die Bedienung weg ist, kopfschüttelnd, wie ich nicht umhin komme zu bemerken, ziehe ich Kim energisch am Arm.
»Steh um Himmels willen wieder auf!«
»Nur wenn du meinen Antrag annimmst.«
»Schon gut! Best friends forever!«
»Na endlich. Ich hätte gleich einen Wadenkrampf bekommen«, verkündet sie und erhebt sich ächzend.
Als wir kurz darauf einander gegenübersitzend die Milchshakes trinken, möchte ich ihr alles erzählen, jede Einzelheit, die ich ihr bislang verschwiegen habe. Vielleicht würde
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