Nach dem Amok
Gerät und starren hinein, während die Lasagne sich langsam und unter monotonem Brummen um die eigene Achse dreht. Hin und wieder werfe ich einen Blick nach unten, wo die Nagellackzehen in den Flip-Flops sanft und bedächtig auf und ab wippen, wie zum Takt einer beruhigenden Musik. Ich glaube, sie wünscht sich, das Drehen würde nie mehr aufhören und man könnte endlos lang diesen rotierenden Klotz beobachten, während zuverlässig die Zeit vergeht.
Jannik beäugt mich weiterhin misstrauisch, wenn wir zusammen sind oder er sich in der Schule in meiner Nähe aufhält. Ich verstehe, dass er verunsichert ist und sichergehen will, dass nichts Schlimmes hinter dem Handyfoto steckt, dass es keinen anderen gibt. Seltsamerweise beruhigt es mich sogar, dass seine Blicke mich verfolgen, denn das bedeutet, dass ihm noch etwas an mir liegen muss. Er hat uns noch nicht aufgegeben.
Einige Tage lang genieÃe ich diese Form der Aufmerksamkeit. Sie gibt mir Kraft, und erstmals denke ich sogar über einen Schulwechsel nach; ein Gedanke, den ich in den Monaten zuvor nicht zu denken gewagt habe, selbst direkt nach Davids Amoklauf nicht, als er wesentlich naheliegender war. Ein Schulwechsel würde bedeuten, Jannik viel seltener zu sehen und Sandra das Feld zu überlassen. Auch jetzt ziehe ich das nicht ernsthaft in Betracht, aber die Option rückt durch die Sicherheit, die mir Janniks Beobachten gibt, näher in den Bereich des Möglichen.
Während dieser Tage reift allerdings ein anderer Entschluss in mir heran und dieser erscheint mir umsetzbar. Ich nehme mir vor, ein Gespräch mit Jannik zu führen. Es soll darin nicht um Sandra gehen, nicht um Sex und nicht um Angst. Nur um mich, wie ich früher war und wie ich schon bald wieder sein werde. Fürs Erste genügen ein paar Stunden, die Jannik zeigen, dass die Maike, in die er sich letztes Jahr verliebt hat, noch existiert.
Als der Moment für das Gespräch gekommen ist, verlässt mich fast der Mut, aber ich weiÃ, wenn ich noch länger warte, werde ich immer neue Gründe für ein Aufschieben finden und am Ende vielleicht nie die Kraft dafür aufbringen.
An diesem Nachmittag gebe ich mich betont fröhlich und schleppe Jannik ins Freibad. Er wirkt zunächst ein wenig irritiert darüber, doch dann nimmt er meine Veränderung dankbar an. Wir liegen auf der Wiese, haben T-Shirts über unsere Badekleidung gezogen, weil trotz des Frühsommers heute ein frischer Wind weht. Ich schnippe eine Ameise von unserer Strandmatte.
»Ich hab das Gefühl, dass ich endlich wieder atmen kann«, sage ich und sauge die frische Luft in meine Lungen.
»Das ist schön«, antwortet er.
»Ich glaube, die Sitzungen beim Holtmann helfen mir mittlerweile doch ein bisschen.«
»Weil du beginnst, dich darauf einzulassen.«
Ich bekomme ein schlechtes Gewissen, weil ich genau das in letzter Zeit mit Absicht nicht tue. Anfangs konnte ich mich nicht darauf einlassen, da hätten mir alle Holtmanns dieser Welt nicht helfen können. Inzwischen könnte ich es vielleicht, aber ich will es nicht. Ich will nicht, dass dieser Mensch mich mit seinen klugen Sprüchen zutextet, während er doch überhaupt nicht begreifen kann, was in mir vorgeht, selbst wenn ich es ihm hundert Mal erklären würde.
Wir legen uns beide auf den Rücken und schauen an einer Baumkrone vorbei in die Wolken. Jannik greift nach meiner Hand.
»Ein Esel«, sage ich.
»Was?«
»Nicht du. Die Wolke!«
»Stell dir vor, das dachte ich mir schon. Aber es ist kein Esel. Es ist ein Sandwich.«
»Ein Sandwich mit Ohren?«
»Das sind doch keine Ohren! Das ist die Salami, die aus dem Sandwich raushängt.«
Ich knuffe ihn in die Seite, streife mein T-Shirt über den Kopf und renne zum tiefen Becken. Nur ein paar Sekunden, nachdem ich ins Wasser gesprungen bin, landet Jannik neben mir. Er streicht mir eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und küsst mich. Unter meinen FüÃen ist kein Boden. Der Kuss ist nur kurz, aber ich vergesse dabei, weiterhin meine Beine zu bewegen. Janniks Lippen sind plötzlich fort und ich bin gesunken. Ich schlucke Wasser und muss husten.
»Sorry, SüÃe. Ich küsse dich künftig nur noch im Kinderbecken«, grinst er.
Etwas in mir fühlt sich schwer an, es zieht mich immer noch nach unten. Ich muss hier raus. Ich schwimme zum Rand des Beckens, klettere
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