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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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kümmern.«
    Â»Ich liebe dich«, flüstere ich.
    Jannik schüttelt nur den Kopf.
    Â»Ich liebe dich!«, sage ich etwas lauter.
    Er packt mich unsanft am Handgelenk. In seinem Gesicht ist alles verzerrt, als hätte ich ihm mit meinen letzten Worten großen Schmerz zugefügt.
    Â»Spar dir das, hörst du? Ich will das nicht mehr von dir hören!«
    Er lässt mich stehen. Ich breche in Tränen aus, und es ist Charlotte, die mich kurz darauf vom Boden aufsammelt, nichts fragt und keine Erklärungen erwartet.

27
    Kim legt einen Arm um mich und deutet ins Dunkel.
    Â»Ist das nicht irre?«, kichert sie.
    Ãœberall um uns herum bewegen sich leuchtende Punkte durch die Luft. Ich habe noch nie so viele Glühwürmchen auf einem Fleck gesehen.
    Â»Die Stelle habe ich erst letzten Dienstag entdeckt«, sagt Kim. »Mach lieber den Mund zu, sonst verschluckst du noch welche.«
    Â»Wieso? Ich sehe sie doch rechtzeitig, bevor sie reinfliegen können.«
    Â»Habe ich auch gedacht. Und dann habe ich eins verschluckt.«
    Â»Wie schmeckt denn so ein Glühwürmchen?«
    Â»Eklig. Bitter.«
    Â»Igitt!«
    Â»Kannst du laut sagen. Die sehen eigentlich scheußlich aus, wenn nicht gerade Nacht ist und sie leuchten. Ich habe mir das mal auf Wikipedia angesehen. Das sind so lange Käfer mit Beinen, Fühlern, Augen und dem ganzen Gedöns. Und das sind nur die kleinen! Es gibt auch eine andere Art, die ist bis zu zwei Zentimeter groß und sieht aus wie die Kreuzung aus einer fetten Raupe und einem Gürteltier.«
    Kim holt ein leeres Einmachglas aus ihrem Rucksack, schraubt den Deckel ab und hüpft damit durch die Gegend. Das spärliche Licht des von Schleierwolken überzogenen Halbmondes hellt die Szene kaum auf, und es macht den Eindruck, als würde Kim jeden Augenblick über irgendeine Baumwurzel stolpern und hinfallen.
    Â»Das ist die tolle Idee, von der du gesprochen hast? Glühwürmchen fangen?«
    Â»Ist doch lustig.«
    Â»Ja, wenn man noch in die Unterstufe geht.«
    Â»Spaßbremse!«
    Â»Mensch, Kim! Du bist manchmal echt kindisch!«
    Â»Bloß gut, dass du so erwachsen bist.«
    Â»Und was macht man mit den Dingern, nachdem man sie eingesperrt hat? Sie im Dunkeln anstarren, wie sie leuchten, und warten, bis sie nach ein paar Tagen im Glas verrecken?«
    Â»Der Punkt ist doch gar nicht, dass du es kindisch findest. Es geht dir gerade überhaupt nicht um Glühwürmchen, oder?«
    Ich setze mich auf einen großen Baumstumpf. Er ist feucht.
    Â»Jannik hat am Freitag Schluss gemacht.«
    Â»Aber warum hast du das denn nicht früher gesagt? Es ist Sonntag Abend! Du schleppst das schon das ganze Wochenende mit dir rum, während ich denke, dass du bei Jannik bist und dich deshalb nicht meldest!«
    Sie schraubt den Deckel auf das Glas. Zwei Glühwürmchen sind darin gefangen.
    Â»Was ist passiert?«, fragt sie weiter, als ich nichts erwidere.
    Â»Das war alles zu viel. Die dauernden Hetzereien von Sandra. Zum Schluss ging es mir richtig schlecht, und ich wusste, dass er meine miese Laune nicht mehr lange aushält. Also habe ich getan, als ginge es mir besser. Aber er hat rausbekommen, dass ich ihm etwas vorspiele.«
    Â»So ein Trottel! Wie kann man wegen so was Schluss machen!«
    Der feuchte Baumstumpf hat meine Hose durchnässt. Kim stellt das Glas mit den Glühwürmchen ab, setzt sich neben mich und nimmt mich in den Arm. Es fühlt sich dort fast so sicher an wie in Janniks Armen. Sie riecht nach Himbeeren und nach Wald. Sie riecht mehr nach Wald als der Wald selbst.
    Â»Es ist ja nicht nur deswegen. Er glaubt Sandras Lügen und denkt wirklich, ich würde ihn mit einem anderen betrügen.«
    Ich atme ihren Himbeergeruch ein. Er könnte von irgendeiner Seife herrühren, ein Parfüm ist es definitiv nicht. Ich möchte sie am liebsten fragen, warum sie nach Himbeeren riecht, aber ich will nichts ändern an diesem Moment, mein Kopf an ihrer Schulter, der Duft nach Himbeeren, das Gefühl von Sicherheit.
    Â»Sag mal, warum möchtest du nicht, dass ich zu dir nach Hause komme?«, wechselt sie plötzlich das Thema.
    Sie ist ein Stückchen von mir abgerückt, um mir bei dieser Frage ins Gesicht sehen zu können. Der Himbeergeruch verflüchtigt sich.
    Â»Wieso denkst du das?«
    Â»Na hör mal, es ist offensichtlich. Sogar deine Mutter ist erpichter darauf als

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