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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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du, dass ich mal zu euch zu Besuch komme.«
    Ich fühle mich ertappt und antworte nicht. Sie hat gemerkt, dass ich sie von meiner Familie fernhalten will, ich kann es nicht mehr ändern. Jetzt muss mir eine plausible Erklärung für diese Tatsache einfallen. Eine Erklärung, die weniger schlimm ist als die Wahrheit.
    Â»Weißt du, bei mir daheim ist es momentan etwas schwierig. Meine Eltern verstehen sich nicht mehr gut. Sie streiten dauernd, und wenn sie das gerade mal nicht tun, dann schweigen sie sich an. Wenn Besuch da ist, dann tun sie, als ob alles in Ordnung sei, und das ist am allerschlimmsten, diese gekünstelte Harmonie. Ich bin, ehrlich gesagt, immer froh, wenn ich abhauen kann. Bei euch ist es so viel angenehmer.«
    Kim schaut ganz bestürzt. Das Mondlicht wirft Blässe auf ihr Gesicht, Schatten wachsen daraus hervor. Es war die beste Erklärung, die ich auf die Schnelle finden konnte, und sie ist ja auch gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Bei Kim muss sie einen Nerv getroffen haben, denn ihre eigenen Eltern kennen derartige Probleme wohl kaum, sie sind die personifizierte Harmonie, und das nicht nur, wenn Besuch anwesend ist.
    Â»Scheiße«, murmelt Kim.
    Â»Ja, Scheiße«, sage ich und wünsche mich zurück an ihre Himbeerschulter.
    Â»Weißt du was«, sagt sie, »du kommst jetzt mit mir nach Hause und übernachtest bei mir. Das wird dir bestimmt guttun. Wir sind beste Freundinnen. Meine Family ist auch deine.«
    Â»Morgen ist Schule«, erwidere ich. »Und ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein.«
    Â»Finde ich übrigens cool, dass du dich rausgeschlichen hast.«
    Â»Deine SMS klang ja auch ziemlich dringend. Hätte ich gewusst, dass du mir bloß ein paar dusselige Glühwürmchen zeigen willst …«
    Â»â€¦wärst du trotzdem gekommen.«
    Â»Ja, glaub schon.«
    Wir grinsen uns im Halbmondlicht an. Kims Gesicht sieht dabei wegen der vielen Schatten ziemlich gruselig aus, ihre dunkelblauen Augen sind rabenschwarz.
    Â»Du liebst Jannik immer noch sehr«, stellt sie plötzlich fest. »Ich weiß zwar nicht genau, wie es sich mit solchen Gefühlen verhält, mit der Liebe, dem Verliebtsein und diesem ganzen Kram, aber ich glaube, du solltest um ihn kämpfen.«
    Â»Weißt du wirklich nicht, wie es ist, verliebt zu sein? Ich dachte, du willst einfach nur noch keinen Freund.«
    Â»Das ist ja auch so. Aber es gab auch noch nie einen, den ich toll gefunden hätte. So richtig.«
    Â»Du hattest noch nie Schmetterlinge im Bauch?«
    Â»Ich nehme an, ein Glühwürmchen zählt nicht?«
    Â»Auf keinen Fall.«
    Â»Manchmal macht mich das traurig. Vielleicht verpasse ich ja etwas. Verpasst man was ohne Schmetterlinge?«
    Â»Ja.«
    Â»Ich hab’s befürchtet.«
    Sie seufzt ein bisschen. Dabei streckt sie die Beine aus und stößt das Glas mit den Glühwürmchen um, in dem schon seit Minuten kein Leuchten mehr stattgefunden hat. Kurz flackert im Glas ein Licht auf, dann ist darin wieder alles dunkel.
    Â»Das kommt schon noch«, sage ich zu ihr.
    Â»Tröstest du mich etwa gerade? Das Trösten wäre nämlich heute eher mein Part. Du, soll ich mal mit Jannik reden? Vielleicht hilft es, wenn jemand mit ihm spricht, der dich gut kennt, aber ihn noch gar nicht.«
    Â»Wie soll das helfen?«
    Â»Na, ich weiß, wie du dich fühlst, aber ich bin ihm gegenüber trotzdem objektiv.«
    Â»Du bist nicht objektiv. Du hältst ihn doch schon unbekannterweise für einen Idioten, weil du siehst, wie schlecht es mir wegen ihm geht.«
    Â»Hm, ja, du hast recht. Ach, verdammt.«
    Der Mond spiegelt sich im Glühwürmchenglas. Auf dieser Lichtung kann er sich ausbreiten, hier erreicht sein Licht an einigen Stellen den Boden. Auf dem Weg durch den Wald hingegen konnten wir vorhin selbst mit einer Taschenlampe kaum etwas sehen.
    Â»Aber du musst etwas tun!«, beschließt Kim.
    Â»Okay. Ich schicke ihm eine SMS. Beim letzten Mal, als er mir aus dem Weg gegangen ist, hat das geholfen.«
    Â»Was hast du ihm damals geschrieben?«
    Â»Dass ich ihn vermisse.«
    Â»Das ist jetzt zu wenig. Du musst ihm diesmal schreiben, dass du ihn liebst und nie betrügen würdest. Außerdem, dass es dir leidtut, dass du ihn wegen deiner Verfassung angeschwindelt hast. Und er muss wissen, dass du konkrete Maßnahmen in die Wege geleitet hast, um das

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