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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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ist. Ein Scharren, ziemlich nah, auf jeden Fall dicht bei der Hütte. Ich klettere aus dem Bett und schleiche zu dem Fenster, das dem Geräusch am nächsten gelegen ist. Sofort kriecht Kälte unter mein T-Shirt und an meinen nackten Beinen fühle ich eine aufkommende Gänsehaut. Vorsichtig schiebe ich zwei Lamellen der Jalousie ein Stückchen auseinander, nur so weit, dass es von außen nicht auffallen dürfte, und spähe durch den Spalt. Ich kann nicht viel erkennen. Der Mond spendet nur wenig Licht, er ist von hier aus zwar nicht zu sehen, wird aber mit ziemlicher Sicherheit von einer ähnlich grauen Wolkenschicht in Schach gehalten wie jener, die auch tagsüber schon den Himmel eingedunkelt hat. Ich kann niemanden in der Nähe des Fensters erkennen, aber das Scharren ist immer noch da und wird hin und wieder von einem Klopfgeräusch unterbrochen. Ob das ein Wildschwein sein kann? Ein kleineres, harmloses Tier? Oder doch ein Mensch?
    Auf einmal bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich die Tür der Hütte von innen abgeschlossen habe. Ich beginne zu zittern, nicht nur vor Kälte. Wenn ich die Tür jetzt kontrolliere, könnte das draußen zu hören sein. Ich schleiche mich trotzdem hinüber und überprüfe das Schloss. Der Schlüssel steckt von innen. Ich drehe ihn vorsichtig ein Stückchen zurück, da ist ein Widerstand, ja, ich habe abgeschlossen. Erleichtert lasse ich den Schlüssel zurückgleiten, wiederum ganz behutsam, aber das so selten benutzte Schloss macht die gleichen Probleme wie bei meiner Ankunft an der Hütte. Es schnappt und das tut es nicht geräuschlos.
    Ich husche zurück zum Fenster und schiebe die Lamellen wieder auseinander. Dieses Mal ist etwas zu sehen, ein Schatten, und es ist eindeutig der Schatten eines Menschen. Schritte vor der Hütte, auf der Treppe, Schritte, die in meinem Körper vibrieren. Klopfen, Schläge an der Tür.
    Es dauert eine Weile, bis ich es erkenne. Zwei Mal mit den Fingerknöcheln, ein Schlag mit der flachen Hand. Unser Klopfzeichen.
    Â»Maike, bist du da drin?«
    Jannik steht vor mir und sieht mich an, traurig, erleichtert, er nimmt mich in seine Arme.
    Â»Was machst du denn für Sachen!«
    Ich erwidere nichts.
    Â»Du zitterst ja«, sagt er dann. Ganz sanft sagt er es.
    Ich kann immer noch nicht sprechen. Keiner von uns macht das Licht an, wir stehen in einem Halbdunkel mit schmalen Jalousielamellen-Mondlichtstreifen. Ich weine an Janniks Schulter, im Schutz seiner Wärme, und im Gegensatz zu den letzten Wochen ist es ein gutes Weinen. Aber spürt er das auch? Er lässt mich nicht los, er hält mich fest, als befürchte er, ich könne sonst gleich wieder davonlaufen. Dann höre ich sein Schluchzen. Ich habe ihn vorher noch nie weinen sehen. Ich hebe den Kopf, betrachte die Tränen in seinem Gesicht. Ich berühre eine davon. Das passiert wegen mir. Er weint wegen mir.
    Â»Es tut mir leid«, sagt er nach einer Weile. »Ich habe mich von so vielen Leuten beeinflussen lassen. Das war falsch. Ich hätte dir vertrauen müssen, nicht ihnen.«
    Ich möchte ihm sagen, dass er keine Schuld hat. Er soll nicht wegen mir weinen müssen. Obwohl es schön ist, dass er weint. Es ist, als würde etwas von ganz tief innen nach außen gelangen. Etwas, das mit mir zu tun hat.
    Â»Ich hätte dir nicht vormachen dürfen, dass es mir besser geht.«
    Â»Vielleicht habe ich dir ja gar keine andere Möglichkeit gelassen.«
    Ich ziehe die Nase hoch. Was gäbe ich jetzt für ein Taschentuch …
    Â»Wie meinst du das?«, frage ich.
    Jannik kramt in seiner Hosentasche und fördert ein zerfleddertes, aber unbenutztes Tempotaschentuch zutage. Ich putze meine Nase und weiß dann nicht, wohin mit dem Tempo, immerhin habe ich nur Slip und T-Shirt an, da sind weit und breit keine Taschen. Ich lasse das Tempo auf den Boden fallen.
    Â»Ich hätte dir besser zuhören müssen. Ich hätte verstehen müssen, warum es so wichtig für dich ist, Davids Motive herauszufinden. Dann hätte ich dir auch von Anfang an die Sache mit Ben geglaubt. Und mit Sandra hattest du recht. Sie wollte wirklich mehr von mir und hat hinter deinem Rücken gegen dich intrigiert. Als du verschwunden warst, sagte sie, das sei das Beste, was mir hätte passieren können. Das hat mich total schockiert. Und noch mehr, dass sie dann meinte, sie sei ohnehin viel besser für

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