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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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Ewigkeit.
    Â»Wenn du mir noch eine gibst. Ich bin bestimmt auch immer mal wieder überfordert mit der Situation. Aber ich würde dich künftig gern bei allem unterstützen, was dir hilft, die Vergangenheit zu verarbeiten. Und auch die Gegenwart. Aber dazu musst du mir alles erzählen, sonst kann ich deine Beweggründe nicht verstehen.«
    Beweggründe . Ein Erwachsenenwort. Aber das ist nicht schlimm, es fühlt sich sogar ganz angenehm an.
    Â»Okay.«
    Â»Sicher?«, vergewissert er sich, weil mein Okay sehr zögerlich geklungen hat.
    Â»Weißt du, ich hatte vor allem deshalb Angst, dir manches zu erzählen, weil Sandra doch deine beste Freundin ist. Ich dachte, wenn sie durch dich bestimmte Dinge erfährt, könnte sie vielleicht etwas davon gegen mich verwenden.«
    Â»Das mit der besten Freundin hat sich erledigt.«
    Â»Ist das schlimm für dich?«
    Â»Schlimm ist, dass ich mich so in ihr getäuscht habe. Wahrscheinlich hat sie tatsächlich absichtlich das Gerücht in die Welt gesetzt, du hättest von Davids Plan gewusst. Und das mit Ben hat sie ja wohl auch erfunden.«
    Â»Sie hat mir gegenüber auch das mit dem absichtlichen Einsperren im Chemiesaal zugegeben.«
    Â»Süße, das tut mir so leid!«
    Seine Stimme klingt, als käme er dem Weinen wieder ein Stück näher. So gepresst. So erstickt.
    Â»Du musst dich total hilflos gefühlt haben«, fährt er mit dieser Stimme fort, »und ich habe mich immer weiter von ihr einwickeln lassen.«
    Â»Du hast ihr eben vertraut.«
    Â»Lass uns nicht mehr über Sandra reden, sie ist es nicht wert.«
    Mit diesem Satz entfernt sich seine Stimme wieder vom Weinen. Weit genug. Er streichelt über meinen Arm. Ich betrachte die kleinen Härchen auf meiner Haut, die sich unter seinen Fingerspitzen aufrichten.
    Â»Du hast mir Todesangst eingejagt mit deinem Gescharre vor der Hütte«, sage ich und gebe mir Mühe, wenigstens ein bisschen streng dabei zu klingen. »Was hast du denn da draußen gemacht?«
    Â»Nach dem Schlüssel gesucht.«
    Â»Du hättest auch gleich klopfen können. Oder noch besser: rufen. Ich dachte, der Yeti schleicht um die Hütte.«
    Â»Hier gibt es keinen Yeti. Ein Yeti lebt im Schnee. Ich hätte also höchstens ein Bär sein können.«
    Â»Wie beruhigend.«
    Jannik pustet in mein Ohr und versucht sich an etwas, das offensichtlich das Brummen eines Bären imitieren soll. Dann muss er lachen. Brummen und Lachen und Pusten an meinem Ohr.
    Â»Sag mal, meine Eltern … Haben sie sich große Sorgen gemacht?«
    Â»Natürlich haben sie das. Deine SMS hat da auch nicht viel geholfen.«
    Â»Und sie waren bei der Polizei?«
    Â»Klar doch.«
    Er hält mich noch ein bisschen fester.
    Â»Weiß jemand, dass du hier nach mir suchst?«
    Â»Nein. Wir sollten schnellstmöglich Entwarnung geben. Also, wenn das okay für dich ist.«
    Â»Ich habe ganz schön Scheiße gebaut, oder?«
    Â»Ja, hast du. Aber wir kriegen das wieder hin.«
    Â»Wir?«
    Â»Ja, wir.«
    Er küsst meinen Nacken. Dazu muss er wieder Haare beiseitestreichen, und wieder fühlt es sich so an, als würde er damit etwas in Ordnung bringen, sodass danach alles genau so ist, wie es sein muss.
    Â»Können wir nicht noch über Nacht hier bleiben?«, frage ich.
    Â»Ich rufe kurz bei deinen Eltern an. Ich gebe Bescheid, dass ich dich hier gefunden habe und morgen früh zurückbringe.«
    Â»Ich will jetzt aber nicht mit ihnen reden.«
    Er nickt und holt sein Handy aus der Seitentasche seiner Hose. Während er die Nummer wählt und den Lautsprecher einschaltet, damit ich mithören kann, hockt er sich auf die Bettkante, dreht mir den Rücken zu. Ich höre ihn mit meinen Eltern sprechen, mein Vater ist am Apparat und hat offensichtlich ebenfalls den Lautsprecher eingeschaltet, denn meine Mutter mischt sich immer wieder in das Telefonat ein. Zuerst kommt Jannik kaum zu Wort, dann schildert er ihnen, was passiert ist. Schließlich gibt es eine längere Diskussion, weil sie mit mir sprechen wollen, und als sie endlich akzeptiert haben, dass ich das im Moment nicht möchte, gibt es eine noch längere Diskussion, weil Jannik mich erst morgen früh zurückbringen will. Er kann sie offenbar nur mit einer Drohung zum Einlenken bewegen. Wenn sie weiß, dass ihr herkommt, um sie zu holen, verschreckt ihr

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