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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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mich, als du es warst.«
    Â»Und dann?«, frage ich.
    Ich habe Angst vor dem, was danach geschehen sein könnte. Janniks Blick sagt, dass etwas geschehen ist.
    Â»Sie hat versucht, mich zu küssen«, sagt er leise.
    Ich stelle mir Sandra vor, wie sie in seinem Zimmer neben ihm auf dem Bett sitzt. Wie sie ihn tröstet und ihm versichert, die Trennung von mir sei die einzig richtige Entscheidung gewesen. Wie sie sich zu ihm rüberbeugt, um ihn zu küssen. Es dreht mir den Magen um.
    Â»Ich habe sie weggestoßen, sogar ziemlich grob, eigentlich wollte ich gar nicht so grob sein, aber ich war völlig verwirrt. Ich meine, wie kann sie denn glauben, dass ich etwas von ihr will, nur weil ich mit dir Schluss gemacht habe? Dass ich Schluss gemacht habe, heißt doch nicht, dass ich dich nicht mehr liebe. Und schon gar nicht, dass ich gleich in die Arme der nächsten will.«
    Es scheint ihn zu verunsichern, dass ich seine Ausführungen nicht kommentiere, also versuche ich mich an einem kleinen Lächeln, das ihm zeigen soll, dass ich ihn verstehe. Das Lächeln geht mächtig in die Hose, hat aber trotzdem die beabsichtigte Wirkung. Er merkt, dass ich immer noch friere. Er bringt mich zum Bett, deckt mich sorgsam zu. Dann legt er sich neben mich. Jetzt ist hier das, was ich bereits gestern wahrgenommen habe. Sein Geruch, in diesem Bett, wie im letzten Herbst.
    Â»Ich hatte heute schlimmen Stress mit der Clique«, sagt er und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Das hat er immer schon gern getan. Und ich mag es, weil es mir vorkommt, als würde er damit etwas in Ordnung bringen, als könne ich mich darauf verlassen, dass danach wieder alles so ist, wie es sein muss.
    Â»Nachdem ich Sandra hatte abblitzen lassen«, fährt er fort, »hat sie gegenüber den anderen total gehetzt. Du seist genauso krank wie David, hat sie gesagt, und ich würde es nicht mal merken. Patrick hat sich sofort auf ihre Seite geschlagen und in dieselbe Kerbe gehauen. Und Andi fand, es sei eine emotionale Erpressung von dir, dass du jetzt abgehauen bist. Du würdest nur wollen, dass man sich um dich sorgt, damit du Aufmerksamkeit bekommst.«
    Â»Das ist nicht wahr!«
    Â»Weiß ich doch. Ich habe ihnen gesagt, dass ich dich nicht für Davids Verhalten verantwortlich mache und dass alles, was du seither getan hast, nur eines zeigt: dass du ein sensibler, mitfühlender Mensch bist, der zu lange versucht hat, es jedem recht zu machen. Und jetzt konntest du eben nicht mehr, woran ich ja auch nicht ganz unschuldig bin. Weglaufen ist da doch eine ganz natürliche Reaktion.«
    Â»Ich wollte zu Kim. Nur für ein paar Tage, bis ich gewusst hätte, wie es weitergehen soll.«
    Â»Kim ist echt in Ordnung. Ich habe sie und ihre Eltern kennengelernt. Sie hat erzählt, dass du, bevor du abgehauen bist, bei ihnen die Bombe hast platzen lassen. Du hattest es ihr vorher gar nicht erzählt. Das mit David.«
    Ich drehe mich von Jannik weg. Gerade kommt es mir vor, als wäre ich seit Wochen nur noch unehrlich zu ihm gewesen, als wäre nichts mehr echt gewesen von dem, was ich ihm gezeigt habe. Dabei wollte ich das doch gar nicht.
    Â»Ich hätte dich nicht anlügen dürfen. Aber ich wusste nicht wie, ich konnte nicht …«
    Er schmiegt sich von hinten an mich.
    Â»Ist okay. Wir haben beide Fehler gemacht. Ich aber noch mehr als du. Heute in der zweiten Pause, kurz nach dem Streit mit der Clique, kam die Freundin von dem toten Mädchen, diese Nicole, zu mir. Sie hatte gehört, dass du weggelaufen bist, und wollte mit mir reden. Sie hat mir gesagt, dass wirklich nichts zwischen dir und Ben war. Sie sagt, ihr tut das alles leid.«
    Eine unendliche Erleichterung breitet sich in mir aus. Zum ersten Mal seit Monaten habe ich das Gefühl, dass keine Vorwürfe und unterbewussten Schuldzuweisungen mehr zwischen mir und Jannik stehen.
    Â»Woher wusstest du eigentlich, dass ich hier bin?«, frage ich.
    Er lächelt. Ich spüre es, weil seine Wange sich an meinem Hals bewegt.
    Â»Ich kenne dich«, sagt er.
    Er meint mich damit. Er meint keine andere Maike. Er hat mich gefunden, weil er diejenige kennt, die ich bin, jetzt, in dieser Sekunde.
    Â»Glaubst du, wir haben noch eine Chance?«, frage ich und bin froh, ihm dabei nicht ins Gesicht sehen zu müssen.
    Er sagt lange nichts. Vielleicht auch nur ein paar Sekunden, aber es kommt mir vor wie eine

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