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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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der Boden ist unter dem dichten Blätterdach der Bäume vom Regen nicht feucht genug geworden, als dass sich das Reifenprofil hätte eindrücken können. Wohl oder übel fahre ich also in die grobe Richtung zurück, aus der ich eben noch geflüchtet bin. In den ersten paar Minuten habe ich noch Hoffnung, zur richtigen Stelle zurückzufinden, aber dann merke ich, dass es definitiv zu lange dauert. Ich hätte längst wieder an der Straße ankommen müssen.
    Ich steige nicht vom Rad ab. Das wäre, als ob ich aufgäbe. Kim hätte die Orientierung sicher nicht verloren, sie hat einen eingebauten Kompass, mit ihr zusammen wäre ich bereits im Supermarkt, wahrscheinlich sogar schon wieder auf dem Rückweg zur Hütte. Sie hätte bestimmt auch eine Idee, wie wir ein bisschen Geld verdienen könnten, um uns weiterhin Lebensmittel kaufen zu können. Ich stelle mir kurz vor, wie es wäre, mit Kim zusammen im Ferienhaus zu leben, nicht nur für ein paar Wochen, sondern für immer. Aber der Gedanke macht mich gar nicht so glücklich, wie ich gedacht hätte. Mit Kim wäre auch nicht alles wunderbar. Sie würde mich vielleicht durch ihre Stärke mitziehen, aber letzten Endes wäre ich immer noch das, was ich bin: schwach.
    Plötzlich höre ich ein Geräusch. Das war eindeutig ein Auto! Ich muss in der Nähe der Straße sein. Das Geräusch ist gleich wieder verschwunden und erfährt zunächst keine Wiederholung, was nicht verwunderlich ist, da die Straße auch vorhin nicht sehr befahren war. Also warte ich eine Weile ab und tatsächlich höre ich nach einer knappen Minute erneut ein Motorengeräusch. Ich fahre ein Stückchen weiter, dann halte ich wieder an und warte. Mit den nächsten Autogeräuschen taste ich mich immer weiter in Richtung der Straße vor, bis sie irgendwann vor mir zwischen den Bäumen auftaucht. Als ich sie erreiche, sehe ich, dass ich weniger als hundert Meter von einem Ortsschild entfernt bin.
    Es gibt hier genau einen Supermarkt. Dieser läuft zwar unter dem EDEKA-Label, ist aber so klein, dass er an einen Tante-Emma-Laden erinnert. Ich erstehe jede Menge Müsliriegel, Äpfel, Erdnüsse, Sandwichs und eine große Flasche Cola. Die Verkäuferin an der Kasse schaut mich komisch an. Mir bricht der Schweiß aus, aber es gibt keinen Grund zur Besorgnis, wie sich herausstellt, denn sie mustert mich nicht etwa, weil sie sich an ein Fahndungsfoto von mir erinnert, sondern weil ich ihr unbekannt bin.
    Â»Dich hab ich hier ja noch nie gesehen«, brummt sie.
    Â»Bin ein paar Tage zu Besuch«, erwidere ich erleichtert.
    Sie zieht die Waren über den Barcode-Scanner. Piep , macht es. Piep , piep , piep …
    Â»Bei wem denn?«
    Â»Bei den Schmidts.«
    Es wird ja wohl hoffentlich Schmidts in diesem Kaff geben.
    Â»Die in der Lessingstraße?«
    Ich nicke.
    Â»Bist eine Cousine von der Laura, was?«
    Ich nicke noch mal.
    Â»Siehst ihr sogar ein bisschen ähnlich. Richte schöne Grüße aus!«
    Â»Mache ich.«
    Schwitzend vor Nervosität, verlasse ich das Geschäft. Ich packe die Tüte mit den Einkäufen auf mein Fahrrad und beeile mich, den Supermarkt hinter mir zu lassen. Dabei komme ich auch an der Lessingstraße vorbei. Wie viele Straßen mag dieser Ort haben? Fünfzehn, vielleicht zwanzig? Ich trete schneller in die Pedale. Das Ortsschild kommt näher, saust an mir vorbei. Erstaunlicherweise finde ich trotz meines wirren Hinweges den Rückweg sofort; den Waldweg, der etwa fünf Kilometer vor dem Ort von der Straße abgeht und dann später bei der Weggabelung in den Pfad übergeht, der direkt zurück zur Hütte führt.

31
    An diesem Abend schlafe ich schneller ein als am Tag zuvor. Mein Schlaf ist tiefer, weniger unruhig, und als ich irgendwann hochschrecke, hat es einen Grund. Ich bin mir sicher, ein Geräusch gehört zu haben. Ich setze mich im Bett auf und starre ins Dunkel. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Lichtverhältnisse und erfassen die noch immer ungewohnte Umgebung. Die Jalousien an den beiden Fenstern lassen das Mondlicht in schmalen Streifen in die Hütte fallen. Ich horche nach weiteren fremdartigen Lauten, aber da ist nichts Ungewöhnliches, und ich beschließe, dass das Geräusch wohl doch nur ein Teil eines Traumes gewesen sein muss.
    Ich bin bereits wieder am Einschlafen, als es von Neuem zu hören

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