Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
Champions League«. Und den Hinweis, dass er mehr als die Bundeskanzlerin verdiene, hatte er mit einem zornigen »So what?« gekontert.
Der scharfen Machete, die inzwischen Mitte siebzig sein musste, fiel eine blonde Haarsträhne in die Stirn. Er erinnerte Bernhardt an einen grünen Politiker, der das Dosenpfand durchgesetzt hatte. Leicht schnarrende Rede, heiße Bekenntnisse bei gleichzeitig klarem, strategisch kühl kalkulierendem Kopf. Das zeichnete beide aus. Vor siebzig, achtzig Jahren hätten die auch zur Elite gehört, sagte sich Bernhardt, natürlich unter entgegengesetzten ideologischen Vorzeichen.
Er nahm sich vor, mal zu prüfen, ob die Machete wirklich so scharf geschliffen war, wie der Intendant es immer vorgab. Aber erst einmal hörte er zu.
»…Ihr Anruf vorhin ein Schock. Sophie war unsere ganz große Hoffnung. Eine Meisterin der leidenschaftlichen Gesten, sich selbst und die Zuschauer an Grenzen führend, wer kann denn heute noch radikal expressionistisch spielen, wenn Sie verstehen, was ich meine? Niemand war wie sie. Ihr Gretchen am Burgtheater – grandios. Nicht zu fassen, dass sie jetzt nicht mehr unter uns ist.«
Er legte die Hand vor seine Stirn, senkte den Kopf und schwieg effektvoll.
Thomas Bernhardt wartete ab. Keine Frage, dass jetzt der Einfühlungskünstler Cellarius gefordert war. Und der begann sein Werk gewohnt zurückhaltend.
»Ein großer Verlust.«
Der Intendant nahm die Hand von seiner Stirn, schaute Cellarius melancholisch an, verhielt kurz in der Geste des Trauernden, warf dann aber seine schüttere blonde Haarsträhne zurück, reckte das Kinn und blitzte Cellarius mit seinen blauen Augen an.
»Wir werden nur schwer darüber hinwegkommen. Ich denke, in der nächsten oder übernächsten Woche machen wir einen schönen Gedenkabend, Lieder, Gedichte, Rezitationen, Erinnerungsstücke. Sie sollte ja die Alkmene in meiner Amphitryon -Inszenierung spielen, wir hatten uns da was ganz Besonderes überlegt, Sprechoper, eine strikte Raum- und Sprachchoreographie. Tja…«
Jetzt wirkte der Intendant ernsthaft erschüttert. Cellarius, auch kein schlechter Regisseur, spürte, dass eine Pause wichtig war. 10 Sekunden, 20 Sekunden Schweigen. Dann beugte sich Cellarius ganz leicht nach vorne.
»Eine große Schauspielerin, zweifelsohne. Aber wie war sie privat, im Umgang?«
»Im Umgang? Das ist ein Ausdruck, der uns nicht geläufig ist.«
Der Intendant stellte die ihm offensichtlich wichtige Distanz zwischen der Existenz eines Künstlers und dem profanen Leben eines Polizeibeamten klar heraus.
»Sehen Sie, wir setzen uns hier mit einem Text auseinander, geistig, aber auch körperlich. Das ist, wenn Sie so wollen, Hochleistungssport. Am Ende jeden Tages steht Erschöpfung, da ist es das Beste, diesen Kosmos zu verlassen. Da gibt’s nach der Arbeit keinen Kaffeeklatsch oder freundliches Beieinandersitzen mehr.«
Bernhardt fand, dass eine gewisse Verschärfung der Gesprächssituation vonnöten war. »Und eine Kantine gibt’s nicht?«
Der Intendant wandte sich irritiert Thomas Bernhardt zu.
»Herr…, wie war noch mal Ihr Name? Ich habe ihn vorhin nicht verstanden, entschuldigen Sie.«
»Thomas Bernhardt.«
Der Intendant zuckte kurz, als hätte er einen leichten elektrischen Schlag erhalten. »Nein, das ist ein bisschen viel jetzt. Ich bitte Sie. Wissen Sie, dass ich Thomas Bernhard, wie soll ich sagen, sehr nahestand?«
»Naturgemäß. Soweit das möglich war, oder? Ich schreibe mich übrigens mit dt.«
»Ja, also, jetzt haben Sie mich aber… Wo waren wir stehengeblieben?«
»Kantine.«
»Ja, natürlich gibt es eine Kantine. Ist sogar ziemlich berühmt. Da schweben noch die Geister von Bert, Helli und Heiner. Sollten Sie sich nicht entgehen lassen. Aber das ist nichts für die Großen. Da sitzt eher die mittlere Riege. Ein freier, unruhiger Geist wie Sophie hat da nicht hingepasst. Ab und zu hat sie sich da sehen lassen, um quasi zu demonstrieren, dass sie nicht arrogant ist. Ansonsten: Sie brauchte viel Freiraum. Sie war radikal, sie brannte, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will.«
»Wir versuchen es. So gut uns das möglich ist.«
Nicht schlecht, Cellarius, dachte Bernhardt und lehnte sich zurück. Er musste hier nicht viel machen.
»Ja, sie brannte, und wer sich seiner Leidenschaft für die Kunst und seiner Leidenschaft für das Leben so bedingungslos hingibt, der kann auch verbrennen. Ich verrate hier kein Geheimnis, wenn ich sage: Sie war süchtig nach
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