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Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Titel: Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus-Ulrich Bielefeld , Petra Hartlieb
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bei Lisi.«
    »Wahrscheinlich hast du recht. Ich konnte Florian auch dieses Jahr nur mühsam dazu überreden. Das einzige Argument, das er gelten ließ, war: Mama zahlt.«
    Als sie gegen dreiundzwanzig Uhr aus der Pizzeria traten, waren schon wieder mindestens zehn Zentimeter Neuschnee gefallen, und es schneite unverdrossen weiter. Die Kutschkergasse lag unter einem weißen Teppich, die wenigen Menschen bewegten sich langsam und vorsichtig, kein lautes Geräusch war zu hören. Anna blieb kurz mitten auf dem Gehsteig stehen und streckte ihr Gesicht den tanzenden Schneeflocken entgegen. Für einen kurzen Augenblick fühlte sie sich völlig unbeschwert.

4
    Thomas Bernhardt war vom Fauchen der Gastherme in der Küche aufgewacht. Hätte er eigentlich über Nacht abstellen müssen, sagte er sich, kostete einfach zu viel Geld. Aber war natürlich ein echter Fortschritt gegenüber den braungelben Kachelöfen, die bis in die achtziger und neunziger Jahre in den einfacheren Altbauwohnungen gestanden hatten. In einem wahren Modernisierungsrausch waren sie dann innerhalb weniger Jahre abgeschlagen worden. In der Ecke seines Schlafzimmers sah man noch den Grundriss des Ofens, davor ein paar Fliesen und auf den Dielen ein paar Brandflecken.
    Thomas Bernhardt hatte nie die Kunst beherrscht, einen Kachelofen am Brennen zu halten. Er schaffte es nicht, die ausgefuchsten Tricks umzusetzen, die ihm erfahrene Kachelofennutzer verraten hatten. Wie war das? Auf die Glut ein Brikett legen, das in feuchtes Zeitungspapier eingewickelt war? Angeblich ging das Feuer dann nicht aus, und man hatte abends noch ein bisschen Glut im Ofen. Bei ihm hatte es nie geklappt. Wenn er als Student abends in seine Einzimmerwohnung am Schlesischen Tor gekommen war, hatte er sich wie in der sibirischen Tundra gefühlt. Die Fensterscheibe der Wohnküche war zugefroren, es dauerte Stunden, bis sich nach dem Anzünden des Ofens eine klamme Wärme ausbreitete und sein Atem nicht mehr als weiße Wolke vor ihm stand.
    Sehr verbreitet war damals der Fußsack, den er sich auf Empfehlung eines älteren Kommilitonen zugelegt hatte. Es war ein angenehmes Gefühl, seine Füße in das wattierte Gebilde zu stecken. Für eine Weile vergaß er dann die Kälte in seinem begehbaren Eisschrank.
    Kein Grund, jetzt Nostalgiker zu werden, sagte sich Bernhardt, streckte sich auf seiner Matratze aus und starrte ins Dunkel. Gestern Abend hatte er auf den Spuren von Sophie Lechner noch ein bisschen im Internet rumgesucht und war irgendwann in den Fluten der Berichte und Interviews versunken. Der Eindruck, dass er darin alles über sie erfahren konnte, wich bald der Erkenntnis, dass nichts über sie als Person da stand. Desinformation durch Überinformation, sagte er sich. Die Eckdaten waren einfach, aber nicht besonders aussagekräftig: Klosterschülerin, Gesangsausbildung, Schauspielschülerin, frühe Berühmtheit, Exzentrikerin, viele Männer, zuletzt ein bekannter Expolitiker, Finanzmanager und Society-Hengst. Alles wie aus einem Drehbuch. Gab’s überhaupt noch Klosterschulen? Wenn doch Nonnen und Mönche bis auf kleine Restbestände gar nicht mehr existierten, wie konnte es dann noch Klosterschulen geben?
    Klosterschülerin. Damit assoziierte er eine aparte Mischung von Unschuld und Perversion, Kreuzgänge, Flüstern, die strenge Mutter Oberin, Weihrauch, klackernde Rosenkränze, Schlafräume mit Doppelstockbetten, morgens kalte Waschungen. Genau das war wahrscheinlich beabsichtigt. Der exotische Touch. Nicht anders der Komponist Hirschmann, der gegenüber von Sophie Lechner wohnte, der war angeblich unter anderem Totengräber auf den Shetland-Inseln gewesen und Pizzabote in Los Angeles.
    Raus aus der virtuellen Welt, hinein ins tosende Leben, hatte sich Thomas Bernhardt schließlich ermahnt. Im Radio hatten sie gesagt, dass heute eine geradezu beißende Kälte herrsche, man solle, wenn man länger draußen sei, sein Gesicht schützen, am besten mit einem Schal oder einer Gesichtsmaske.
    Beißend, das war der richtige Ausdruck. Als Bernhardt auf die Straße trat, spürte er ein scharfes Prickeln auf Stirn und Wangen, als würden ihm winzige Nadeln in die Haut gedreht.
    Die Stadt lag unter einem dunklen Grau, das sich den ganzen Tag über nicht aufhellen würde. Da war er sich sicher. In der U-Bahn hielten die Menschen die Köpfe gesenkt und schwankten still vor sich hin. Als stünden sie unter Hypnose. Jeder Zweite war mit kleinen Kopfhörern verstöpselt, aus denen leise,

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