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Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Titel: Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus-Ulrich Bielefeld , Petra Hartlieb
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Grenzerfahrungen.«
    »Darf man fragen, welcher Art diese Grenzerfahrungen waren?«
    Die zeremonielle Höflichkeit von Cellarius amüsierte Bernhardt, diese ausgefallene Mischung aus solidem Beamtentum und leiser Ironie. Vielleicht hörte ja nur er die Ironie heraus? Der Intendant jedenfalls spürte davon nichts, was dazu führte, dass er sich ein bisschen aufblähte.
    »Na ja, Sie müssten Künstler sein, um das wirklich verstehen zu können. Sie experimentierte. Mit ihrem Körper, sie verletzte sich manchmal, fügte sich selbst Schmerzen zu. In ihrer Sexualität gab es Männer und Frauen, auch da suchte sie, glaube ich, den Schmerz. Aber letztlich gab es für sie nur die Kunst, hier ging sie wirklich über sich hinaus und fand sich selbst – auf der Bühne. Aber diesen Augenblick der Gnade, wenn ich das mal so nennen darf, konnte sie nicht mit ins alltägliche Leben nehmen. Deshalb lebte sie eigentlich ständig in einer Mangelsituation, die sie auf der Bühne überwinden wollte. Ein Teufelskreis, dem nur schwer zu entkommen ist. Ja, so war das.«
    Zum Schluss hatte der Intendant ganz ernst gesprochen, und Bernhardt war sich nicht sicher: Steckte hinter dem Selbstdarsteller vielleicht doch noch ein anderer, ernsthafterer Mensch?
    Es gab nichts mehr zu sagen, die drei Männer erhoben sich und schüttelten sich die Hände. Der Intendant schaute mit einem halb zugekniffenen Auge auf Thomas Bernhardt.
    »Thomas Bernhardt mit dt. Wenn man an die Namensmystik glauben wollte.«
    »Dann müsste ich so eine Art Stellvertreter des großen Meisters auf Erden sein?«
    »Nein, so einfach ist das nicht. Egal. Heute Abend werde ich wieder mal in den autobiographischen Schriften von T.B. lesen. Seltsamerweise helfen mir diese Katastrophenschilderungen über einen Tag wie heute hinweg.«
    Nachdem sie sich aus der Personalabteilung noch sämtliche Daten über Sophie Lechner besorgt hatten, traten sie aus dem überheizten Theater hinaus ins Berliner Grau. Thomas Bernhardt stülpte sich seine blaue Hafenarbeitermütze über den Kopf. Mit seiner schwarzen Lammfelljacke, die er seit einem geschätzten Vierteljahrhundert im Winter trug und die an den Kragenrändern elend abgeschabt war, sah er wie ein Revolutionär aus den zwanziger Jahren aus. Hatte Cellarius mal nach dem zweiten oder dritten Bier gesagt. Der wiederum wirkte in seinem Cashmere-Caban und mit seiner schicken Schirmmütze auf Bernhardt wie ein englischer Landedelmann.
    Sie blieben neben dem Denkmal des Theater-Hausheiligen stehen, der listig zu grinsen schien. Bernhardt wischte ihm halb missmutig, halb liebevoll die Schneemütze vom Kopf.
    »Der hat’s wirklich faustdick hinter den Ohren gehabt. Sollen wir mal in die Kantine gehen, um seinen Geist zu spüren?«
    »Ich finde, das können wir ein ander Mal machen, Thomas. Wie fandest du den Intendanten?«
    »Cleverer Kerl, ausgebufft, was weiß ich. Immerhin hat er ein ziemlich aussagekräftiges Bild von der Lechner gezeichnet. Was uns aber erst einmal nicht weiterbringt. Ob wir nun den Mörder einer Exzentrikerin suchen…«
    »Einer Borderline-Persönlichkeit…«
    »…auch recht, oder eines vermeintlich normalen Opfers. Ist übrigens schön, dass der Schnee noch halbwegs weiß ist.«
    »Hat Schnee so an sich.«
    »Nee, vor der Wende war der nach einer Stunde schwarz. Dank der Trabis, die in Ostberlin rumtöffelten, und der Kraftwerke in Leuna und Bitterfeld, die keine Filter hatten und ihren Dreck einfach rauspusteten.«
    Bernhardt verpasste der Bronzefigur einen Hieb auf die Schulter. »Na, alter Meister, mit deinem ›Lob des Sozialismus‹. Hättste auch nicht gedacht, was?«
    Cellarius lachte. »Mann, hör auf mit der DDR -Hetze.«
    »Hast recht, war doch ein nettes, schönes Land. Wurdest nur erschossen, wenn du’s verlassen wolltest. Und schließlich wächst zusammen, was zusammengehört. Davon abgesehen, sollten wir jetzt weitermachen. Unsere Pat-und-Patachon-Nummer beim Intendanten war ja gut, aber jetzt trennen wir uns, sonst kommen wir zu langsam voran. Du gehst zum Tatort, nimmst dir die Hausbewohner vor. Krebitz hat mit seinen sensiblen Fragen wahrscheinlich bereits jede Menge Porzellan zerschlagen. Das kannst du dann kitten. Und ich mach mich zu Fuß auf den Weg in die Agentur der Lechner am Hackeschen Markt. Katia hat mich da schon angemeldet. See you later, alligator. «
    »In a while, crocodile.«

5
    Die Regler der alten Heizkörper im Büro waren bis zum Anschlag aufgedreht, Anna schüttelte ihre

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