Nach dem Bankett.
wirkten die Gestalten auf dem Bild, als hätten sie sich bereits vor langer Zeit für künftige Betrachter in Positur gestellt. Mit einer gewissen Koketterie dachte sie an den Augenblick zurück. Als ihr dies bewußt wurde, fühlte sie sich von ihrem eigenen rastlosen Herzen abgestoßen; aber je mehr sie sich wehrte, daran zu denken, desto klarer und deutlicher wurde das Bild der Erinnerung.
Sie waren damals vom Yaotomi-Schrein aus noch weitergegangen, und plötzlich hatte sich vor ihren Augen eine unter den hellen Strahlen der vorsommerlichen Sonne liegende Landschaft aufgetan, die bisher von Bäumen versperrt gewesen war. Kazu, die in gedrückter Stimmung war wegen des Opfergeldes, hatte das wie eine Erlösung empfunden.
»Ah! Was für ein zauberhafter Blick! Sieh nur! Ist das nicht wundervoll?«
»Hier wollen wir ein Bild aufnehmen lassen«, hatte Noguchi sogleich geantwortet. Der Fotograf stand unsicher auf den Wurzeln einer Kiefer neben den Steinstufen und machte seine Kamera für die Aufnahme fertig. Das Ehepaa stand auf den Stufen und blickte aufs Meer hinaus. Vor ihren Augen lag die Oshima-Insel. Das Meer, das im Westen durch die Halbinsel Nishiura und im Osten durch den Berg Kobo von Miya eingefaßt war, glitzerte friedlich. In de Ferne, in Dunst gehüllt, schienen die Halbinseln Atsumi und Chita ineinande überzugehen und die Wasserfäche eher zu einem See als zu einem Teil des Ozeans werden zu lassen. Die unzähligen Fischreusen, die aus dem Wasse ragten, verstärkten diesen Eindruck noch. Kein Wölkchen, nicht der zarteste Schleier, war am Himmel zu sehen. Der Tag war, wie ein Augenblick der Ewigkeit unversehrt und unveränderlich vor ihnen ausgebreitet.
Der Fotograf war sehr umständlich, und das Ehepaar mußte endlos lange in derselben Stellung verharren. Kazu bemerkte, daß Noguchi steif wie eine Standsäule dastand und sich jeden Augenblick der Kamera bewußt war. In all den Jahren, da die Fotografen hinter ihm hergejagt waren, hatte er es nich gelernt, diese angeborene Steifheit abzulegen. Aus Rache für den Verweis, den er ihr vorhin erteilt hatte, holte Kazu ihre Puderdose hervor und musterte rasch ihr Gesicht. Dabei ließ sie unbemerkt den Refex des Spiegels über Noguchis angespannte Züge gleiten. Als das grelle Licht in seine Augen fel und ihn fü einen Moment erblinden ließ, zuckte Noguchi zusammen und verlor seine steife Haltung. Im selben Augenblick hatte der wachsame Fotograf auf den Auslöse gedrückt.
Aber das war nicht das Bild, das jetzt auf Kazus Tischchen stand. Noguch hatte sich die Negative von dem Fotografen geben lassen und alle vernichtet, die ihm nicht gefelen. Dieses Bild hier zeigte ein Ehepaar in reiferen Jahren, das gelassen da stand, Kazu ein wenig hinter ihrem Mann, halb verdeckt von seinen Schultern. Erstaunlicherweise hatte Kazu, obgleich sie eine Frau war, keine genaue Vorstellung davon, was Glück ist.
Die Heirat hatte kein Opfer von ihr gefordert: Sie war weder an ein fremdes Haus gefesselt, noch hatte sie unter einer Schwiegermutter oder Schwägerin zu leiden. Trotzdem empfand sie kein überschäumendes Glücksgefühl über ihre Ehe Wohl war sie von stolzer Freude erfüllt, wenn sie und Noguchi, als Mann und Frau, in der Öfentlichkeit auftraten. Aber wenn sie versuchte, dieser Empfndung auf den Grund zu gehen, so entdeckte sie, daß sie eng mit jenem düsteren Gefüh in Verbindung stand, das ihr Herz während der Vermählungszeremonie gestreif hatte. Während der feierlichen Handlung des wechselseitigen Saketrinkens hatte sie mit gesenktem Kopf und Tränen in den Augen dagestanden und die ganze Zeit gedacht: ›Nun bin ich sicher. Nun komme ich in Noguchis Familiengrab Endlich habe ich einen Ort des Friedens gefunden.‹
Der herrliche große Park von Setsugoan schwand aus ihrem Gedächtnis und an seine Stelle trat der kleine Grabstein einer alten, vornehmen Familie Daher war es nur zu verständlich, daß sie nach der Hochzeitsreise als erstes den Wunsch geäußert hatte, sie wolle das Familiengrab von Noguchi besuchen. Noguchi jedoch, der es haßte, zum Friedhof zu gehen, verschob diesen Besuch immer wieder unter verschiedenen Vorwänden, bis Kazu ihn schließlich doch an einem Sonntag während der Regenzeit dazu brachte, sie zum Aoyama-Friedhof zu führen.
Es war ein unfreundlicher Tag. Dann und wann ging ein Sprühregen nieder und verlieh dem jungen Grün auf dem Friedhof frischen Glanz. Unter einem Regenschirm folgten
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