Nach dem Bankett.
der Ginza senkte. Der ungewohnte Anblick erfüllte sie mit einem Gefühl der Verbundenheit, das sie bisher nie für diese Stadt empfunden hatte. Hier und dort fammten bereits bunte Lichtreklamen auf. Auf einem Bauplatz in der Ferne ragten Stahlgerüste und ein schräger Kran in den blauen Abendhimmel, und kleine fimmernde Lichtpunkte huschten umher, so daß es aussah wie ein geheimnisvoller Hafen mitten auf dem Festland. Ein weißer und ein roter Werbeballon, die auf dem Dache des gegenüberliegenden Hochhauses verankert gewesen waren, stiegen schaukelnd wieder in den Abendhimmel auf und zogen lange Wimpel mit Neonreklamen hinter sich her.
Von ihrem hochgelegenen Fensterplatz aus beobachtete Kazu Menschen, die sich in gleicher Höhe befanden wie sie: zwei Mädchen in roten Mänteln stiegen auf der Hinterseite eines Hochhauses die Nottreppe empor; eine Frau, die ihr Kind auf dem Rücken trug, stand auf einer Holzterrasse hinter dem Reklameschild eines Geschäftes und nahm ein weißes Hemd von der Leine; drei Köche mit weißen Mützen traten auf einen Dachgarten und steckten sich Zigaretten an; in den Büros hinter den Fenstern im vierten Stock des neuen Gebäudes gegenüber war keine Menschenseele zu sehen, aber plötzlich fitzten die Beine eines jungen Mädchens mit roten Söckchen über den grünen Teppich. Alle Bewegungen dieser Menschen waren sonderbar lautlos . . . Selbst der Rauch aus den Schornsteinen stieg lautlos und kerzengerade in den windstillen Himmel.
›Ich werde mich in das Herz jedes einzelnen Menschen hineinbohren‹, dachte Kazu, trunken von ihren eigenen Wunschträumen. ›Wie wunderbar wäre es, wenn ich sie alle dazu bringen könnte, den Namen von Noguchi Yuken auf den Wahlzettel zu setzen. Ach, könnte ich doch alle diese Menschen von hier aus erreichen! Ich weiß, jeder einzelne ist mit sich selber beschäftigt – mit Liebesafären, mit Geldsorgen, mit dem Gedanken, was er essen soll, mit Verabredungen . . . ihre Herzen sind voll davon. Aber es muß mir gelingen, ihnen den Namen Noguchi Yuken tief im Herzen einzuprägen. Ich bin bereit, alles dafür zu tun. Was kümmert mich mein Ruf in der Gesellschaft? Was kümmern mich Gesetze? Afe meine prominenten Gäste im Setsugoan haben sich nicht darum gekümmert, und sie hatten Erfolg.‹
Ihre Brust schien den enggeschnürten Obi sprengen zu wollen, und ihre Augen bekamen einen trunkenen Ausdruck. Sie hatte das Gefühl, als werde ihr heißer Körper groß und größer und hülle allmählich die ganze riesige Hauptstadt ein.
In Noguchis Schlafzimmer, einem altmodischen japanischen Zehnmattenraum, stand seit der Hochzeit ein Doppelbett. Es stand auf einem alten Perserteppich. Wenn Kazu, die gewohnt war, am Boden zu schlafen, auf dem Rücken in diesem Bett lag, erschien ihr die Decke merkwürdig nahe, und die Wände wirkten geradezu bedrückend auf sie.
Noguchi schlief meist sehr schnell ein. Dann schaltete Kazu ihre Nachttischlampe wieder an, nicht um ein Buch oder eine Zeitschrift zu lesen, sondern um unverwandt auf irgendeinen Gegenstand zu starren und dadurch den Schlaf herbeizuzwingen. Oft blickte sie auf die halbmondförmigen Grife der Schiebetür mit den eingravierten vier Herrenblumen, die man oft auch au dem Stichblatt eines Degens fndet: der Pfaumenblüte, der Chrysantheme, de Orchidee und der Bambusblüte. Der Grif mit d er Orchidee befand sich ganz in ihrer Nähe, und in dem gedämpften Licht der Nachttischlampe stand die dunke gewordene Metallblume dauernd vor ihren wachen Augen.
Da der Gasofen zur Nacht abgedreht wurde, wich auch bald die Wärme aus dem Schlafzimmer. Während einer solchen Nacht mußte Noguchi den Entschluß gefaßt haben, sich der Wahl zu stellen. Aber seine Frau hatte nichts davon gemerkt. Sein Benehmen war unverändert gewesen; er hatte sich ihr gegenübe vor der Nominierung ebenso gelassen gezeigt wie während seiner Überlegungen und nach dem Entschluß zur Annahme. Dabei hatte es sicher auch ihm Qualen bereitet, die richtige Entscheidung zu trefen; er mußte manches Mal nervös gewesen sein und seinen Entschluß verworfen haben, um dann wieder zu seiner ursprünglichen Meinung zurückzukehren – aber seiner Frau gegenübe hatte er sich nichts anmerken lassen. Alles war wie sonst gewesen: das Husten vor dem Einschlafen, seine halben Zärtlichkeiten und seine ungeschickten Annäherungsversuche, dann die übliche Resignation, und schließlich hatte er sich zusammengerollt wie eine
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