Nach dem Bankett.
gewöhnlich war Kazu nicht sehr gläubig und rechnete in Notzeiten keineswegs auf göttliche Hilfe. Aber an diesem Morgen war sie um vier Uh aufgestanden und hatte die Kerzen des Hausaltars angezündet. Sie betete soga zu Noguchis verstorbener Frau, um sie zu bewegen, sich gemeinsam mit ihr fü seinen Sieg einzusetzen. Eine Mücke, die sich aus dem nächtlichen Garten hierhe verirrt hatte, umkreiste Kazus gefaltete Hände. Nicht die geringste Ehrfurcht lag in Kazus Ton, als sie die Tote anrief: »Wir Frauen sollten doch zusammenhalten und uns die Hände reichen, um Noguchi unter allen Umständen zum Sieg zu verhelfen.« Kazu hatte das Gefühl, als ob sich vor ihren Augen eine aufrichtige Frauenfreundschaft entwickle, wie sie sie noch nie in ihrem Leben erfahren hatte. »Wie gut du bist«, weinte sie. »Oh, wie gut! Wenn du noch am Leben wärst, wären wir sicher gute Freunde geworden.«
Die Mücke stach Kazu an verschiedenen Stellen ihres wohlduftenden Körpers. Aber Kazu glaubte, Noguchis Sieg zu sichern, wenn sie das Jucken ertrüge. Und unbeirrt unterhielt sie sich weiterhin mit der verstorbenen Sadako Noguchi.
Inzwischen war die Sonne aufgegangen und warf die ersten heißen Strahlen in den Garten. Auf dem Rasen unter den Bäumen entstand in scharfumrissenen Konturen ein Blattmuster, das wie ein Scherenschnitt aussah. Kazu blickte über die Schulter, sah die Gartensteine weiß aufeuchten, und der helle Morgen schien ihr wie ein Kranich mit ausgebreiteten Schwingen; denn die Gartensteine waren wie Flügel geformt. Sie erinnerte sich daran, daß sie irgendwann einmal scherzend zu Noguchi gesagt hatte, ein Kranich fiege über den Garten. Sie hatte also gar nicht so unrecht damit gehabt. Es war ein glückliches Zeichen, jetzt einen Kranich zu sehen. Aber da sie fürchtete, Noguchi werde ihr wieder einen Verweis erteilen, entschloß sie sich, ihm nichts davon zu sagen.
Kurz darauf wurde Noguchi wach und nahm, wie üblich schweigend, mit Kazu zusammen das Frühstück ein.
»Möchtest du nicht ein rohes Ei haben?« fragte sie schließlich.
»Ich nehme doch nicht an einem Schulsportfest teil«, entgegnete er schrof.
Noguchi war sehr stolz auf seine Gelassenheit. Wahrscheinlich hatte er sie sich während der Jahre in England angeeignet. Aber im Gegensatz zu den Engländern besaß er weder deren geistvolle Ironie noch deren trockenen Humor. Um zu beweisen, daß er auch heute so ruhig und gelassen war wie stets, benahm er sich mit Absicht mürrisch.
Als Yamazaki und die Herren vom Wahldirektorium kamen, brachte Kazu, wie geplant, in einer ofenen Kleiderschachtel den neuen Sommeranzug. Sie hatte eine weiße Rose am Revers befestigt. »Was ist denn das? Das ziehe ich nicht an«, sagte Noguchi, nachdem er einen Blick in die Schachtel geworfen hatte. Obgleich Kazu sich vorgenommen hatte, sich nicht von ihren Gefühlen fortreißen zu lassen, bat sie ihn unter Tränen, er möge ihr doch den Gefallen tun und den Anzug anziehen. Aber Noguchi wurde nur noch eigensinniger, so daß sich schließlich Yamazaki einmischte und ihn zu besänftigen versuchte. Zu guter Letzt zog Noguchi den neuen Anzug doch an – wenn auch widerwillig –, war aber durch nichts zu bewegen, die Blume am Revers zu dulden.
Es war Zeit für Noguchi, das Haus zu verlassen. Alle gaben ihm bis zum Eingang das Geleit. Kazu war ganz bewegt, Noguchi in dem schneeweißen Hemd und dem neuen Anzug zu sehen. Als sie die Hand ausstreckte, um seinen Kragen in Ordnung zu bringen, obwohl er tadellos saß, reagierte Noguchi blitzschnell. Er hielt ihre Hand mit eisernem Grif fest und sagte mit gesenkter Stimme: »Hör au mit diesen Torheiten! Das schickt sich nicht!« Niemandem war etwas aufgefallen sogar ein scharfes Auge hätte dies nur als eine Geste verhaltener Liebe gedeutet
Und mit einer schnellen, geschickten Bewegung holten Noguchis spitze knöcherne Finger etwas aus Kazus rechter Handfäche hervor, was sie darin verborgen hatte. Es waren Feuersteine, mit denen sie vor allen Leuten glückbringende Funken schlagen wollte, wenn Noguchi das Haus verließ. Kazu wußte nur zu gut, wie sehr Noguchi solche Sitten haßte, aber trotzdem hatte sie dem Verlangen nicht widerstehen können. Noguchi hatte also richtig vermutet daß sie Steine in ihrer Hand verborgen hielt.
Im Wagen übergab er sie schweigend Yamazaki, der sie in die Tasche steckte und sich den ganzen Tag über die harten Steine darin ärgerte.
Noguchi
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