Nach dem Bankett.
uns ja seit Jahren nicht begegnet! Da haben Sie mich aber in einer recht ungewöhnlichen Rolle gesehen, nicht wahr?«
Sie wußte genau, wie er hieß – Totsuka –, vermied es aber wohlweislich, ihn mit seinem Namen anzusprechen. Um ihre Unruhe vor ihm zu verbergen, knif sie die Augen zusammen, als ob sie die blendende Sonne nicht ertragen könne. Unten am Fuß des Hügels sah sie die Züge der Hochbahn fahren; die wenigen Wolken am Himmel schienen in der Sonnenhitze zu verdunsten.
»Was willst du von mir?« fragte sie mit leiser Stimme.
»Ich möchte einen Augenblick mit dir sprechen«, antwortete der Mann.
Kazu rief den Leuten auf dem Lastwagen mit fröhlicher Stimme zu: »Ich habe einen alten Bekannten getrofen und möchte ein paar Worte mit ihm reden. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir eine kleine Pause einlegten?«
Ohne ein weiteres Wort schritt sie auf den gegenüberliegenden Eisladen zu. Der weiß-blaue Vorhang aus Glasperlen am Eingang wirkte hell und freundlich, aber im Innern des Ladens standen nur ein paar alte Stühle, und es war entsetzlich dunkel. Kaum hatte sie den Laden betreten, als sie mit lauter Stimme rief: »Bringen Sie doch den Leuten auf dem Lastwagen zwanzig Portionen Eis. Aber bitte gleich! Und für uns auch zwei; aber das hat Zeit. Bringen Sie bitte erst die Portionen zum Wagen.«
Sie setzten sich an einen der dunklen Tische, der noch schmierig war von den Gästen vor ihnen. An der Wand hing ein Kalender, und einen Augenblick war es Kazu, als ob es der besagte Kalender mit Noguchis Fotografe war. Sie blickte auf, sah aber das Foto einer Schauspielerin in gelbern Badeanzug, die mit einem blauweißen Rettungsring spielte.
»Was willst du von mir?« fragte Kazu ungeduldig. Sie wollte von ihrer Unruhe befreit werden.
»Nun mal nicht so eilig! Ich muß sagen, du strengst dich wirklich an in diese glühenden Hitze. Auch deine Rede, alle Achtung, war gar nicht so schlecht. Ich habe schon immer gewußt, daß du einmal berühmt wirst.«
»Nun sag schon, was willst du von mir haben? Geld?« fragte sie den Mann schrof, den sie dreißig Jahre nicht mehr gesehen hatte. Ihre Augen blickten mißtrauisch, während sie jede seiner Bewegungen beobachtete. Aus dem Inneren des Ladens hörte man das knirschende Geräusch der Eismaschine.
»Wie unfreundlich du bist! Nun also . . . ich habe mich in letzter Zei schriftstellerisch betätigt . . .« Totsuka ließ seine gespreizten Finger über die alte Aktenmappe kriechen und öfnete sie mit tastenden, nervösen Bewegungen. Sie war vollgestopft mit zerknitterten Papieren. Totsuka beugte seinen Kopf übe die Tasche und wühlte suchend darin herum. Die von den Fliesen am Boden refektierten Sonnenstrahlen felen auf seine ungewöhnlich langen Wimpern ›Wie stolz war er in seiner Jugend auf diese langen Wimpern‹, dachte Kazu Jetzt glänzten sie grau, aber immer noch waren seine Augen voll schwermütige Schönheit.
»Ah, hier ist es.« Totsuka brachte eine dünne Broschüre zum Vorschein und warf sie lässig auf den Tisch. Auf dem Umschlag stand: »Das Leben der Frau Noguchi Yuken, geschrieben von einem lustliebenden Fischer.«
Kazus Hand zitterte, als sie danach grif und in dem Heft blätterte. Jedes Kapitel trug eine aufreizende Überschrift. In dem Abschnitt, der Kazus Leben als junges Mädchen in Tokio schilderte und die Jahre, in denen sie mi Totsuka zusammenlebte, wurde Totsuka – unter voller Namensnennung – als reiner, naiver Liebhaber, Kazu aber als wollüstige, liederliche Frauensperson dargestellt. »Boten sich ihr zwei Wege, Liebe oder Karriere, so pfegte sie stets die Liebe über Bord zu werfen und sich für die Karriere zu entscheiden«, stand da. Danach folgten die Jahre, in denen sie ein Verhältnis nach dem anderen gehabt hatte – alles ausführlich geschildert, sogar vor dem Schlafzimmer hatte man nicht haltgemacht. Kazu wurde als eine Art Vampir dargestellt, die ihre Liebe feilbot und die Männer nur als Sprungbrett gebraucht hatte, um sich ihre heutige Position aufzubauen. Als sie das letzte Kapitel überfog, wußte sie, zu welchem Zweck dieses Heftchen geschrieben worden war: Noguchi war als ein Mann von engelsgleicher Güte beschrieben, sie hingegen als böse, gewissenlose Frau, die Noguchi getäuscht hatte und nun versuchte, in die Stellung eine Gouverneursgattin zu gelangen.
»Wie kannst du so schamlose Lügen schreiben!« stotterte Kazu. Sie hatte
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