Nach dem Bankett.
Dank für all eure Mühe. Ich möchte mich nur eben umziehen.« Noguchis Worte schienen weder allein an Yamazaki noch allein an Kazu gerichtet zu sein. Gewohnheitsmäßig wollte er in die Hände klatschen, um das Mädchen zu rufen, aber Kazu hinderte ihn daran, holte eigenhändig einen Kimono aus dem Korb und half ihm selber beim Umkleiden.
Als Noguchi den schmalen Obi aus Kazus Händen entgegennahm, sagte er: »Du hast es in letzter Zeit auch sehr schwer gehabt. Spann jetzt etwas aus.«
Noguchi wandte ihnen den Rücken zu und weinte. Es waren die ersten Tränen, die Yamazaki bei ihm sah. Er kniete vor Noguchi nieder, stützte sich mit beiden Händen auf die Tatamimatten, verbeugte sich tief und sagte verzweifelt: »Ich habe versagt. Es gibt kein Wort der Entschuldigung für mich.«
Als Kazu Noguchis Tränen sah, konnte auch sie ihr Schluchzen nicht länger zurückhalten. Sie warf sich laut weinend zu Boden.
Es ist nicht ganz verständlich, warum das Ehepaar Yamazakis Anwesenheit bei dieser Szene duldete. Es war kaum denkbar, daß sie einen Zeugen brauchten, vor dem sie einander ihr Herz ausschütten konnten. Wahrscheinlich geschah es nur deshalb, weil beide, Noguchi und Kazu, in Yamazaki ihren vertrautesten und engsten Freund sahen. Und da die Eheleute ofziell keine Gelegenheit mehr haben würden, Yamazaki ihre Dankbarkeit für all seine Mühen zu beweisen und ihr grenzenloses Vertrauen zu zeigen, mochten sie dazu diese intime Szene gewählt haben. Es war aber auch möglich, daß beide Eheleute nicht nur Vertrauen, sondern auch neue Hofnung in Yamazaki setzten, und – ohne darüber gesprochen zu haben – beide einen Halt an ihm suchten, um von der entsetzlichen Stille befreit zu werden, der sie sich sonst allein gegenübersahen.
Nach diesem Auftritt machte Noguchi es sich in seinem Kimono bequem und sprach blumenreich wie ein Orientale und ausgesprochen theatralisch mit seiner Frau. Es gab wohl keinen Menschen, der in der Öfentlichkeit weniger theatralisch war als Noguchi. Aber wenn es sich um private, familiäre Dinge handelte, sprach er mit einem geradezu an die Heroen der Antike erinnernden Pathos. Er glaubte, alles, was er sagte, sei seinem aufrichtigen Gefühl entsprungen; aber in Wirklichkeit wandelte er auf den Pfaden der altchinesischen Dichter. Yamazaki, der auf seine Worte lauschte, mußte unwillkürlich an die »Heimkehr« von Tao-Yüan-ming oder an den Vers von Po-Chü-i im »Fünfundvierzig« denken:
Vielleicht erwerbe ich
Am Fuße des Berges Lu
Im nächsten Frühling
Eine Hütte aus Gras.
Aber Noguchis Worte waren prosaischer. Er sah auf Kazus linke Wange und begann umständlich und unbeholfen zu sprechen: »Ach gebe die Politik au Ich werde mich nie wieder in meinem Leben mit Politik befassen. Ich habe verschiedene Ideale gehabt. Sie scheinen aber heute nichts mehr wert zu sein, da mir der Sieg nicht zuteil wurde. Du hast meinetwegen viel zu leiden gehabt. Vie zu erdulden. Aber von nun an wollen wir in einem ruhigen Winkel leben, ganz bescheiden, von unserer Pension, wie ein alter Mann und eine alte Frau.«
Kazu, die noch immer auf dem Boden lag, neigte ihren Kopf noch tiefer und antwortete ergeben: »Ja.« Yamazaki sah mit Befremden, daß Kazus Gestalt ihre Worte Lügen strafte, da sie einen geradezu gebieterischen Eindruck machte. Ihre heftigen Reaktionen hatten stets etwas Unheimliches an sich. Ihre vitale Kraf beschränkte sich niemals auf den Moment, sondern sie sah stets weiter, grif sofor nach dem nächsten Ziel. So konnte Kummer unerwartet zur Triebfeder ihres Jubels werden, und Freude konnte der Vorbote eines Verzweifungsausbruchs sein. Ihre am Boden kauernde Gestalt drückte unaussprechliche Trauer aus. Sie wurde von Schluchzen geschüttelt, und der zarte Enzian, der auf den Rücken ihres Obi gestickt war, zitterte. Und doch spürte Yamazaki, daß in ihrem Körpe der sich Noguchis Willen so ergeben unterwarf, etwas aufwallte, das sie kaum unterdrücken konnte.
Als Yamazaki schließlich aufstand, um sich zu empfehlen, dankte ihm Noguch noch einmal überaus höfich und entschuldigte sich dafür, daß er im Zimme bleibe; er sei zu müde, um ihm das Geleit zu geben. Ihre Tränen trocknend begleitete Kazu Yamazaki hinaus.
Als sie um die Ecke des Ganges bogen, der zur Haustür führte, zupfte Kazu Yamazaki am Ärmel und bedeutete ihm, stehenzubleiben. Ihre Augen, die vo kurzem noch von Tränen und Schmerz verschleiert gewesen waren,
Weitere Kostenlose Bücher