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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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einer Reihe hinter einem mittelgroßen Toyota mit zerbrochenem Rücklicht stehen bleibt.
    Ich kann dir keinen von den guten geben, erklärt Ruby. Bei dem hier merken sie erst in ein paar Wochen, dass er fehlt. Er läuft, und er hat einen vollen Tank, das hab ich schon nachgeprüft. Gib mal her.
    Sie nimmt Temple die Reisetasche ab und stellt sie auf den Beifahrersitz.
    Hör mir jetzt gut zu. Ruby fasst Temple bei den Schultern und schaut ihr direkt in die Augen. Ich kenne ein paar nette Leute ungefähr eine Stunde nördlich von hier. Sie werden sich um dich kümmern – musst ihnen bloß sagen, dass ich dich schicke. Du folgst einfach den Schildern nach Williston und hältst Ausschau nach einem umzäunten Gelände ein Stück neben dem Highway. Verstanden?
    Verstanden.
    Pass auf dich auf, ja?
    Temple sucht nach Worten, um dem Augenblick gerecht zu werden.
    Das war echt großzügig von dir, sagt sie schließlich. So was würde nich jeder machen. Du bist ein guter Mensch, wie eine Königin oder so.
    Los jetzt. Ruby wirkt besorgt, ihre Augen sind feucht. Ich fürchte, du hast das Schlimmste noch vor dir.
    Sie fährt eine Stunde nach Norden, aber sie kann den von Ruby beschriebenen Ort nicht finden. Die Schilder helfen ihr nicht weiter. Als sie ein gutes Stück aus der Stadt heraus war, hat sie neben einer Straße angehalten, um einen Wegweiser zu studieren. Dabei ist sie auf den Namen einer einundvierzig Meilen entfernten Stadt gestoßen und hat sich gedacht, dass das Williston sein könnte, weil das ungefähr einer Autostunde entspricht. Also hat sie sich das Aussehen des Namens eingeprägt und ist den Schildern gefolgt, aber jetzt ist sie hier, und nirgends gibt es ein eingezäuntes Gelände.
    Dann setzt Regen ein, und sie lenkt den Wagen auf den Parkplatz eines Einkaufszentrums. Sie stellt den Motor ab und lauscht dem Trommeln der Tropfen auf dem Dach.
    Der Regen ist Pech. Eigentlich, grübelt sie, müsste der Regen kommen und alles Unreine in der Welt fortspülen. Wie eine heilige Flut, die die Toten wegschwemmt und überall auf dem zerstörten Angesicht der Erde Löwenzahn und Schmetterlinge entstehen lässt. Aber so läuft es nicht. Stattdessen wird es bloß kalt und feucht und fröstelig im Kragen, und danach, wenn die Sonne wieder hinter den Wolken hervorkommt, gibt es noch mehr Moder und Verwesung als zuvor, und der Gestank steigt wie Gas aus allen Feldern und Steinen auf.
    Der Regen prasselt heftig herunter, und sie möchte ihn lieber irgendwo drinnen abwarten. Zum Einkaufszentrum gehört auch ein Spielzeuggeschäft, groß wie eine Lagerhalle. Die farbenfrohen Zeichen über der Glastür sind völlig unversehrt – was sie als gutes Zeichen deutet.
    Sie nimmt eine Pistole aus der Reisetasche, eine M9, und zieht das Magazin heraus, um sich zu vergewissern, dass es voll ist. Dann steuert sie den Wagen unter den Überbau des Ladens direkt vor den breiten Glaseingang und steigt aus.
    Die Luft riecht jetzt schon schlimmer – eine Mischung aus Ozon und Mundgeschwüren. Die Pestilenz sickert an die Oberfläche und bildet Lachen der Fäulnis auf dem Asphalt. Auf dem Wasser gerinnt ein Film, eine wächserne Haut, die wie Gelatine zerreißt, wenn man drauftritt.
    Drinnen gibt es keinen Strom, aber durch die hohen Fenster vorn dringt brauchbares graues Licht bis tief in das Geschäft. Während sie durch die Gänge streift und die verstaubten Packungen befummelt, versucht sie sich ein Familienzimmer voller Spielsachen vorzustellen: bunte Plastikpuppen und -autos, abstrakte Magnetbaukästen, Raumschiffe mit Aufklebern, Miniaturpianos mit Tasten, die beim Drücken aufleuchten. Albern, so eine beiläufige und überflüssige Fantasie.
    In einem Gang stößt sie auf ein Regal mit Spritzgussartikeln. Sie nimmt eine Packung, reißt sie auf und hält einen Kampfjet in der Hand. Ihr fällt ein, wie der Junge vorhin seine Eltern nach Flugzeugen gefragt hat. Und sie erinnert sich an etwas anderes, das schon sehr lange zurückliegt.
    Malcolm auf dem Beifahrersitz, unterwegs nach Hollis Bend, wie er durch die Windschutzscheibe auf etwas deutete.
    Was ist das?
    Sie blickte auf und sah einen Streifen am Himmel wie ein Wolkenfetzen und an der Spitze einen Gegenstand wie eine winzige Metallraute.
    Ein Jet, antwortete sie. Ein Flugzeug. Kennst du aus dem Fernsehen. Muss von dem Militärstützpunkt weiter hinten sein.
    Hab noch nie einen echten gesehen.
    Aber jetzt hast du einen gesehen. Gibt nich mehr so viele davon.
    Wieso?
    Schwer zu

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