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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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passiert. Durch die Naht sickert ein wenig Blut, aber nicht viel. Sie wickelt Verbandsmull um den Finger und klebt ihn zu.
    Das hast du super hingekriegt, danke.
    So was habe ich noch nie gemacht.
    Also, ich glaub, ich muss jetzt …
    Doch als sie aufstehen will, dreht sich alles um sie, und sie hat Mühe, die Dinge vor sich zu erkennen. Ihr Hals fühlt sich lose und wacklig an und kann den Kopf nicht mehr richtig halten.
    Alles in Ordnung? Rubys Stimme klingt, als käme sie durch Watte. Als käme sie durch Lutscher aus T-Shirts. Als käme sie durch die Watteschwänze aller Kaninchen in allen Gemüsebeeten der Welt.
    Temple sagt: Ich setz mich nur kurz …
    Dann kommt die Finsternis und verschluckt sie mit Haut und Haar.
    Als sie wieder hochdämmert, liegt sie unter der Decke in Rubys Bett, und helles Sonnenlicht scheint durchs Fenster. Niemand sonst ist im Zimmer.
    Verdammich, sagt sie und schwenkt die Füße zum Boden. In ihrem Kopf wabert noch violetter Äther, und die Augen hinken ihrem Blick einen Schritt hinterher. Sie muss sich langsam bewegen. Sie steht auf und stützt sich an der Wand ab. Schafft es zum Fenster und wieder zurück. Mehrere Minuten tappt sie nur zwischen Fenster und Bett hin und her, bis die Augen allmählich wieder normal funktionieren und ihr Kopf richtig auf dem Körper sitzt.
    Da tritt Ruby ein.
    Du hast ziemlich Staub aufgewirbelt, Sarah Mary Williams. Sie suchen überall nach dir. Angeblich wollen sie dir nur ein paar Fragen stellen, um rauszufinden, was passiert ist – aber ein paar von ihnen haben so einen Blick in den Augen, der mir gar nicht gefällt. Hab ich alles schon erlebt.
    Ruby öffnet den Schrank und stöbert in den Klamotten herum.
    Sie sagen, du hast Abraham Todd übel zugerichtet.
    Ich hätt’s nich gemacht, wenn …
    Du brauchst mir gar nichts erzählen. Diese Todd-Jungs haben Herzen so schwarz wie die Nacht. Gott steh dir bei, ich bin sicher, dass er es nicht anders verdient hat. Aber jetzt hat dich sein Bruder Moses auf der Abschussliste, und das ist einer, der keine Faxen versteht und sich durch nichts von seinem Kurs abbringen lässt. Das heißt, wir müssen zusehen, dass du hier verschwindest. Zieh das an.
    Temples Hand pocht jetzt, also hilft ihr Ruby dabei, ihre Sachen auszuziehen und in die Reisetasche zu stopfen.
    Was ist mit dem BH passiert, den wir dir ausgesucht haben?
    Stumm hebt Temple die Arme, damit ihr Ruby das Sommerkleid aus gelber Baumwolle überstreifen kann, das sie aus dem Schrank geholt hat. Es hat einen Spitzensaum, und es juckt auf der Haut.
    Wozu is das?, fragt Temple.
    Damit du nicht auffällst. Alle hier, die nicht draußen auf dich Jagd machen, sind für die Kirche angezogen.
    Für die Kirche?
    Es ist Sonntag, Schätzchen. Am Sonntag gehen wir in die Kirche.
    Es ist schon lange her, dass Temple zuletzt zwischen Wochentagen unterschieden hat.
    Dann scheuert ihr Ruby mit einem Waschlappen das Gesicht blank. Sie sucht eine Haarklammer heraus und nimmt sie zwischen die Lippen, während sie an Temples Haar herumhantiert. Dann schiebt sie die Klammer hinein und macht sie fest.
    So, sagt Ruby. Jetzt siehst du wirklich niedlich aus.
    Temple hält sich einen Spiegel vor. Ein daunenzartes Mädchengesicht schaut sie an.
    Wie ein Püppchen. Haben die Kerle eine Ahnung, wo ich bin?
    Sie glauben, dass du schon abgehauen bist. Sie suchen draußen auf den Straßen nach dir. Anscheinend ist gestern auch jemand ins Waffenlager eingebrochen.
    Rubys Blick landet auf Temples schwerer Reisetasche neben der Tür.
    Hab mir bloß ein oder zwei Sachen genommen.
    Schon gut, Sarah Mary. Du wirst es bestimmt brauchen. Ich mag gar nicht dran denken – du da draußen mit all diesen Biestern. Ich fände es gut, wenn du bei uns bleiben könntest, aber Moses Todd wird das garantiert nicht zulassen. Komm jetzt. Wir müssen dich irgendwie zum Aufzug bringen.
    Mit der unverletzten Hand hängt sich Temple die Tasche um, während Ruby die Tür öffnet und vorsichtig hinaus in den Gang späht.
    Los.
    Auf dem Weg zum Aufzug begegnen sie einer Familie, ein Mann, eine Frau und ein Junge, die über Flugzeuge reden und darüber, wie sie oben in der Luft bleiben und ob der Junge je eines zu Gesicht bekommen wird. Im Vorbeigehen sagen Ruby und Temple lächelnd Guten Morgen.
    Im Aufzug sind sie allein, Ruby drückt auf einen Knopf mit der Bezeichnung P2, und als sich die Türen öffnen, befinden sie sich in einer verlassenen Parkgarage voller Autos. Temple folgt Ruby, bis die am Ende

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