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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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fliegen, erklärt sie. Bis man das gelernt hat, braucht man bestimmt ewig.
    Wie können die da oben bleiben?
    Was? Was redest du da eigentlich? Vögel schaffen das doch auch. Und zwar locker.
    Klar, aber die flattern mit den Flügeln. Wieso muss der Jet nicht mit den Flügeln flattern?
    Weil, ein Jet reitet eben auf dem Wind.
    Wie macht er das?
    Er macht es einfach. Wird eben so gebaut.
    Ach so. Und wenn kein Wind weht?
    Wenn man sich schnell genug bewegt, macht man seinen eigenen Wind.
    Wie geht das?
    Hier, kurbel mal dein Fenster runter. Ganz nach unten. Und jetzt mach deine Hand ganz flach, genau so. Das is dein Flügel. Jetzt halt die Hand so und streck den Arm raus.
    Er tat es, und seine Hand tanzte auf und ab.
    Spürst du das? Spürst du, wie die Luft deine Hand hochheben will? So funktioniert auch ein Flieger. Das nennt man Aerodynastik.
    Was is das?
    Das is der Name von dem, was ich dir grade erklärt hab.
    Ach so. Woher weißt du das alles?
    Keine Ahnung. Hat mir früher mal jemand erzählt.
    Und du hast es dir gemerkt?
    Klar. Und ich hab’s dir erzählt, und jetzt musst du jemand finden, dem du’s erzählst. So funktioniert das. So wird eine Zivilisation aufgebaut.
    Aerodynastik, murmelte Malcolm vor sich hin. Aerodynastik.
    Okay, Kumpel, jetzt mach das Fenster wieder zu – es wird allmählich frostig hier drinnen.
    Noch immer versunken in die Erinnerung hört sie ein Geräusch am Ende des Gangs. Sie blickt auf und bemerkt einen Fleischsack, der über das Linoleum auf sie zuschlurft. Er ist alt und ausgetrocknet, die Haut verschrumpelt und blättrig um den Mund und an den Fingerknöcheln. Wahrscheinlich schon seit Jahren ohne etwas zu fressen in dem Laden gefangen. Aus seiner Kehle dringt ein trockenes Knacken, und als er versucht, den Kiefer zu öffnen, bemerkt sie, wie seine dünnen Wangen reißen. Er braucht lang, um zu ihr zu gelangen.
    Sie setzt ihm die M9 an die Stirn und drückt ab. Kein Blut. Die Schabe sackt einfach in einer Pfütze aus pulverfeinem Staub zusammen.
    Als sie wieder hinaustritt, ist der Regen verebbt. Wenn ihre Uhr richtig geht, ist sie fast eine Stunde lang in dem Laden herumgewandert. Sie steigt ins Auto und wirft den Spritzgussflieger ins Handschuhfach. Dann nimmt sie eine von ihren Pillen – welche, weiß sie gar nicht, und es ist ihr auch egal, weil sie sich einfach nur anders fühlen will als jetzt, und es kommt nicht darauf an, in welcher Richtung dieses Anders liegt.
    Es ist schon nach zehn Uhr Abend, als sie auf die Jäger trifft. Je weiter sie nach Norden vordringt, desto stärker sind die Straßen bevölkert. Inzwischen passiert sie schon ungefähr jede halbe Stunde einen Wagen, und jedes Mal bremsen beide ab und schauen sich in die Augen oder winken oder lächeln oder ziehen einen Fantasiehut oder grüßen militärisch, um der Gemeinschaft der Nomaden Respekt zu zollen. Doch nach Einbruch der Dunkelheit leeren sich die Straßen wieder. Nachts verkriechen sich die meisten Leute lieber und warten auf die Sonne.
    Nur nicht die Jäger. Von der Straße aus bemerkt sie ihr Lagerfeuer. Eigentlich eher ein Freudenfeuer, das sie da auf dem Parkplatz einer Grundschule angezündet haben. Sie fährt im Kreis darum herum, und die drei Männer drehen den Kopf, um sie zu beobachten, während die Körper angespannt und reglos verharren.
    Sie steigt aus und macht ihr Gesicht zur Mauer, als sie auf sie zusteuert.
    Die Männer mustern sie von oben bis unten, ohne sich vom Fleck zu rühren. Sie braten etwas am Spieß, und der Schein des Feuers wirft tanzende Schatten auf die Fassade der Schule. Ein kleines Brandopfer auf einer von der Nacht verschluckten Erde.
    Einer von ihnen trägt einen Cowboyhut, den er jetzt zurückschiebt.
    Abend, Prinzessin.
    Bin keine Prinzessin.
    Ich hätt’s dir glatt abgenommen. Bist spät dran zum Walzertanzen, Goldstück.
    Sie hat noch immer das gelbe Sommerkleid an, das ihr Ruby gegeben hat, und ist verlegen.
    Sie trinken aus Metallbechern und essen Fleisch und Bohnen von Blechtellern.
    Ich komm aus’m Süden, sagt sie. Such einen Ort namens Williston.
    Williston? Da bist du schon dran vorbei. So zwanzig Meilen hinter dir. Du bist schon fast in Georgia.
    Mist. Sie späht nach dem fernen finsteren Horizont in ihrem Rücken. Ich hab’s gewusst.
    Clive hier kann dir den Weg aufzeichnen, trotzdem wirst du ihn im Dunkeln schwer finden.
    Wahrscheinlich. Ich glaub, ich fahr weiter nach Norden. Zahlt sich nie aus, wenn man an einen Ort zurückkehrt, wo man schon

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