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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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sie wird ganz schläfrig, als sie zuhört und die verrauchte Luft einatmet.
    Ihr Kopf wackelt vom Whiskey und von der Müdigkeit und vom Reden über Gottes große Erde, und sie bieten ihr an, dass sie sich bis zum Morgen auf eine von ihren Matten legt, da sie sowieso abwechselnd schlafen. Sie beäugt die drei misstrauisch.
    Schon gut, Sarah Mary, sagt Lee. Wir tun dir nix. Wenn wir auf so was aus sind, finden wir schon was. Außerdem bist du eine von uns. Schlaf dich lieber ordentlich aus. Ich hab so das Gefühl, dass du am Morgen wieder allein weiterziehen willst.
    Also legt sie sich auf die Matte und dreht sich mit dem Gesicht zum Feuer, um es warm zu haben.
    Allmählich driftet sie weg, aber davor fällt ihr noch was ein und sie stützt sich auf einen Ellbogen.
    Hey, in Wirklichkeit heiß ich gar nich Sarah Mary Williams. Ich heiß Temple.
    Freut uns, dich zu kennen, Temple, antwortet Lee.
    Ja. Also gut.
    Und sie streckt sich wieder aus und schaut hinauf zu den Sternen, und als sie die Augen schließt, kann sie sie immer noch sehen.
    Als sie am Morgen aufwacht, sind zwei weitere Männer da. Sie lehnen an einem Lastwagen, und Temples Jäger beraten sich mit ihnen. Sie setzt sich auf, umklammert mit den Armen ihre Knie und ärgert sich, dass sie noch immer diesen lächerlichen gelben Fummel trägt.
    Die zwei Neuen tragen Jeans und Denimjacken. Sie halten Gewehre in der Armbeuge, aber die Unterhaltung wirkt freundlich.
    Lee wirft ihr einen Blick zu und kommt herüber. Er wirkt betroffen, und sein Mund bewegt sich, als würde es ihn innen an den Wangen jucken.
    Wer is das?, fragte Temple.
    Freundliche Leute, ganz harmlos.
    Warum schaust du dann so drein?
    Sie haben erzählt, dass sie jemandem auf der Straße begegnet sind. Großer Kerl. Raubeinig, schlechte Zähne. War auf der Suche nach einem blonden Mädchen, hat aber nicht erzählt, warum. Aber sie meinen, dass er bestimmt keine guten Absichten hat.
    Wo?
    Kurz vor Williston.
    Aha.
    Sie steht auf und steuert auf ihren Wagen zu.
    Wahrscheinlich gibt’s in der Gegend nicht so viele blonde Mädchen, die allein reisen, meint Lee.
    Wahrscheinlich nich.
    Sie öffnet die Autotür und zieht die Reisetasche auf dem Beifahrersitz auf, um eine Hose und ein T-Shirt herauszuholen. Sie streift sich das Sommerkleid über den Kopf und wirft es auf den Rücksitz.
    Lee hält sich die Hand vor die Augen und wendet sich ab. Die anderen vier schauen herüber, als sie nur im Baumwollslip dasteht.
    Willst du mir verraten, warum dir der Bursche auf den Fersen ist?
    Ich hab seinen Bruder umgebracht. Sie streift sich das T-Shirt über und schlüpft in die Hose.
    Hat er es verdient?
    Verdient hat er auf jeden Fall was – dass er am Schluss tot war, hat sich so ergeben. Du kannst dich wieder umdrehen.
    Lee folgt der Aufforderung und schaut sie an. Dann späht er mit verkniffenen Augen in die Ferne.
    Wo willst du hin?
    Nach Norden. Einfach nach Norden. Er kann mir nich ewig folgen. Beim Reisen hab ich viel Geduld.
    Okay. Er nickt und scharrt mit dem Schuh über den Asphalt und späht wieder angestrengt in die Ferne. Vielleicht kannst du dir ja vorstellen, dass du mit uns kommst.
    Er ist mindestens zwanzig Jahre älter als sie, aber er strahlt die intensive Zerbrechlichkeit eines Jungen aus.
    Lee, das is wirklich nett. Ich möcht mich bei dir und Clive und Horace bedanken, weil ihr so freundlich zu mir wart. Ihr macht da wirklich was Tolles. Ihr schaut euch die Wunder an in diesem weiten Land. Aber ich, ich hab ein Verfolgungsproblem. Entweder ich werde gejagt, oder ich jage jemanden. Es wär mir einfach nich recht, euch da alle mit reinzuziehen und euch von eurem eigenen Weg abzuhalten.
    Also, meint Lee.
    Ja.
    Bis jetzt bist du auch immer allein klargekommen.
    Genau.

5
    I hre Hand pocht, und sie greift in die Reisetasche neben sich, um nach ihren Pillen zu suchen, doch stattdessen stößt sie auf die Plastiktüte, in die sie das Ende ihres kleinen Fingers gepackt hat. Die Straße ist gerade, und sie fährt gleichmäßig weiter, während sie die Tüte vor die Windschutzscheibe hält, um den Inhalt zu betrachten.
    Das Erstaunliche ist, dass es noch immer wie ein Finger aussieht – wie bei einem Zaubertrick, als würde gleich der Rest ihres Körpers hinter einem Vorhang zum Vorschein kommen und sich mit viel bühnenmagischem Trara wieder mit dem Finger verbinden. Der Nagel ist noch immer zuckerwattepink bemalt, und die Haut um den Rand der Wunde ist eingetrocknet und leicht

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