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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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sich von denen anderer Grundstücke. Er besteht nicht aus weißen Holzbrettern, sondern aus Metalldrähten, die in einem Abstand von fünfzehn Zentimetern horizontal verlaufen.
    Fass da ja nich hin, mahnt sie. Wahrscheinlich weißt du nich mal, was ein elektrischer Zaun is, und es is besser, wenn du es nich aus erster Hand rausfindest.
    Sie fordert den Mann auf, beim Auto zu bleiben, und nähert sich dem Tor. Dort stellt sie fest, dass es ebenfalls verdrahtet ist.
    Verdammich. Wie sollen wir da reinkommen? Wart mal, ich hab ’ne Idee.
    Sie läuft zum Wagen und holt eine Pistole aus der Reisetasche auf dem Rücksitz.
    Kannst von Glück sagen, dass ich bei dieser Operation fürs Denken zuständig bin.
    Sie zielt in die Luft und gibt in gemächlicher Folge drei Schüsse ab. Das Echo schallt weithin durch den Canyon.
    Also, bemerkt sie, das wird bestimmt jemand anlocken. Hoffen wir einfach, dass die Bewohner von Burg Blankzahn da oben schneller neugierig werden als die einheimischen Fleischsäcke.
    Einige Minuten später erspäht sie eine Gestalt, die hinter dem Haus hervorkommt, nicht aus der Eingangstür. Es ist ein Schwarzer, und er trägt einen grünen Arbeitskittel. Er ist groß, doch als er sich mit behutsamem Schritt auf der Auffahrt nähert, fällt ihr auf, dass er noch größer wirkt, als er ist, weil er eine besondere Art von Stolz ausstrahlt. Um die Schläfen ist sein kurzgeschorenes Haar leicht ergraut, und sein angedeutetes Lächeln wirkt höflich, aber distanziert.
    Kann ich Ihnen helfen, Miss?, fragt er durch das Tor.
    Wie heißen Sie?
    Johns.
    Johns? Wie John, aber mehr als einer?
    Das ist korrekt. Kann ich was für Sie tun?
    Is das Ihr Haus?
    Belle Isle gehört Mrs. Grierson.
    Also, ich versteh Sie zwar nich ganz, aber vielleicht könnten Sie uns reinlassen, damit wir uns ausruhen? Wir sind nur auf der Durchreise, und ein bisschen Gastfreundschaft is für Sie doch sicher kein Problem.
    Ich fürchte, dies hier ist eine Privatresidenz, Miss.
    Privatresidenz? Sind Sie vom Mond gefallen? Haben Sie nich mitgekriegt, dass Sie da im Stadtzentrum die schlimmste Schabenseuche haben, die mir je untergekommen is? Privatresidenzen gibt’s nich mehr, Mister. Es gibt nur noch Orte, wo Schaben sind, und welche, wo sie nich sind.
    Tut mir leid, Sie müssen es anderswo probieren.
    Er will sich abwenden.
    Moment, warten Sie, Mister. Wissen Sie, wie alt ich bin?
    Das weiß ich nicht.
    Ich bin fünfzehn. Wollen Sie eine wehrlose Fünfzehnjährige den Fleischsäcken zum Fraß vorschmeißen, bloß damit Sie nich zum Abendessen zwei zusätzliche Gedecke hinstellen müssen? Was wird wohl Ihr Gewissen dazu sagen? Mich würde so was nämlich ganz schön quälen.
    Er mustert sie eingehend, und sie bemüht sich nach Kräften, wie eine heimatlose Waise zu wirken.
    Dann hebt er an der Steinsäule eine Platte hoch und tippt einen Code ein. Die zwei Seiten des Tors rollen automatisch beiseite.
    Danke Mister, Sie sind ein feiner Kerl.
    Und dieser Herr ist …?
    Ach, machen Sie sich um den keine Gedanken. Das is bloß ein Dussel. Der lässt bestimmt nix mitgehen.
    Nachdem sie eingetreten sind, drückt Johns auf einen Knopf, und hinter ihnen schließt sich das Tor.
    Am liebsten würde sie vor zum Platz rennen, sich in den Brunnen stürzen und der Hausherrin zurufen: Juchu, Mrs. Grierson, ich bin zu Besuch hier! Aber sie hält sich lieber zurück, um niemanden nervös zu machen. Anscheinend haben es diese Leute ziemlich gut, und sie will sie nicht erschrecken. Also lässt sie die Hände hinter dem Rücken wie eine kleine Dame und folgt Johns zum Haus.

6
    D rinnen sieht das Haus aus wie etwas aus einem Kinofilm – schnörkelige Metallarbeiten so fein wie Häkelspitzen, die ganze Atmosphäre königlich und selbstvergessen. Die Vordertür öffnet sich auf einen langen Saal, der sich bis ganz nach hinten erstreckt und aus dessen Mitte eine geschwungene Treppe zum ersten Stock hinaufführt. Wie ein Eisschauer hängt von der Decke ein Kandelaber, der das Licht in seinen Kristallen selbstsüchtig einzusperren scheint, statt es zu verströmen. Der Boden besteht aus schwarzen und weißen Marmorrauten, und die Wände werden gesäumt von Großvateruhren, halbkreisförmigen Tischen mit Modellschiffen und Mahagonianrichten mit Blumengestecken oder vergilbten alten Puppen unter Glasglocken.
    Der Ort scheint völlig unberührt von der Masse wandelnder Toter überall sonst auf der Welt. Temple sieht sich nach dem Gewehrregal neben der Tür um, doch

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