Nach dem Ende
nicht einfach hinunterzuschütten, sondern davon zu nippen, wie Mrs. Grierson das offenbar macht, und sich den Mund mit der kleinen Stoffserviette neben dem Glas abzuwischen statt mit dem Ärmel, und sie lehnt sich mit übergeschlagenen Beinen zurück, wie ihr das mal jemand eingeschärft hat, statt sich nach vorn zu beugen und die Ellbogen auf die Knie zu stützen – was natürlich besser ist, falls man sich plötzlich verteidigen muss.
Erzählen Sie uns doch, wo Sie herstammen, Sarah Mary. Mrs. Grierson lächelt.
Ich? Aus der Gegend – zwei Orte weiter. Sie deutet in eine Richtung.
Ach, dann sind Sie also aus Georgia? Das war mir klar. Eine Blume aus Georgia erkenne ich sofort. Welcher Ort? Lake Park? Statenville?
Statenville, genau. Er und ich sind dort aufgewachsen. Er is mein Bruder. Nach ihm hat meine Mama fünfzehn Jahre gewartet, bis sie es wieder probiert hat, weil er so geworden is.
Du solltest nicht allein reisen, wirft Richard ein. Trotz seines Alters hat er eine Kinderstimme, und als er ihr einen entschiedenen Ton verleihen will, gerät sie ins Stolpern. Gut, dass du uns gefunden hast. Wir kümmern uns um dich.
Danke, Richard, antwortet Temple höflich. Das Stück, das du gespielt hast, gefällt mir.
Das war Chopin. Ich kann auch andere spielen. Du solltest hierbleiben, draußen ist es nicht sicher.
Ach, Richard, tadelt Mrs. Grierson. Wir wollen nicht über unerfreuliche Dinge reden. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann wir zuletzt ein Mädchen im Haus hatten – außer Maisie natürlich. Wissen Sie, Sarah Mary, ich hatte nie Enkelinnen. Ich habe oben einige wunderbare Kleider, die Ihnen bestimmt perfekt passen würden. Vor dem Abendessen können wir hinaufgehen und uns ein wenig umsehen. Selbstverständlich bleiben Sie beide so lange, wie Sie möchten. Wir haben genügend Gästezimmer.
Zwei Enkel?, erkundigt sich Temple.
Pardon?
Sie haben vorher gesagt, dass Sie zwei Enkel haben?
O ja, Richard und James, meine beiden Jungen. Nur noch wir vier sind übrig, leider. Aber sie sind feine Jungen. So hübsch und begabt.
Mein älterer Bruder, erklärt Richard, zieht sich gern auf sein Zimmer zurück, wenn er nicht in den Feldern herumstreift. Er ist mein Bruder, und ich liebe ihn, aber manchmal …
Richard, mahnt Mrs. Grierson.
Ich wollte nur sagen, dass er manchmal sehr einsiedlerisch sein kann. Würdest du nicht sagen, dass das eine ziemlich treffende Beschreibung ist?
Meine Jungen, sagt sie lächelnd zu Temple. Sie passen so gut auf mich auf.
Zuerst bittet sie Johns darum, das Tor zu öffnen, damit sie das Auto hinter dem Haus abstellen kann.
Dann werden sie und ihr Begleiter zu benachbarten Gästezimmern geführt, und zwar von Maisie, die ihnen vorher Eistee gebracht hat und die von Mrs. Grierson als Mädchen bezeichnet wird, obwohl sie bestimmt fast doppelt so alt ist wie Temple.
Gefällt es Ihnen hier?, fragt Temple, als Maisie schon halb auf dem Weg hinaus ist.
Wo sollte ich denn sonst hin, Miss?
Ich meine, werden Sie gut behandelt?
Die Griersons sind sehr freundlich.
Temple nickt und lässt den Blick über die Spitzendeckchen und die Blumentapete über der Täfelung wandern.
Wenn man in so ’nem Haus aufwacht, kommt man gar nich auf die Idee, dass schon die halbe Welt aufgefressen is, was?
Verzeihung?
Egal.
Im Badezimmer entdeckt Temple eine altmodische Wanne mit Klauenfüßen und beschließt, sich ordentlich einzuweichen und ihrer pochenden Hand eine kleine Pause zu gönnen.
Bin eine Weile hier drin, Dussel. Mach nix kaputt. Am besten, du steckst die Flossen in die Taschen.
Sie macht eine Geste, und er tut es. Dann tritt sie ins Bad und schließt die Tür. Als sie später wieder herauskommt, sitzt er auf der Bettkante und fummelt mit der rechten Hand an etwas herum, das er wahrscheinlich aus der Tasche gezogen hat.
Was hast du da? Sie nimmt ihm den Zettel ab. Erst erlebe ich, dass du die Hand geben kannst wie ein echter Gentleman, und jetzt das. Heute kommst du wirklich ständig mit neuen Überraschungen an, Dussel.
Auf dem Zettel befinden sich Zahlen und Buchstaben. Es sieht aus wie eine Adresse und darüber noch etwas anderes.
Wie lang schleppst du das schon mit dir rum? Sie stopft sich den Zettel in die Hosentasche. Schätzungsweise muss ich jetzt rausfinden, was draufsteht, oder?
Mrs. Grierson erscheint und führt sie in ein anderes Zimmer. Dort schickt sie Temple in einen riesigen Wandschrank und beobachtet voller Vergnügen, wie sie in verschiedenen
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