Nach dem Ende
man mit einem Strohhalm Blasen in der Limo macht.
Sie senkt den Blick auf ihre Hände, den rosa Lack auf den Nägeln, den verbundenen Stummel ihres kleinen Fingers. Er tut weh, und der Schmerz erscheint ihr wie ein Symbol für etwas.
Na ja, ich will sowieso nich über Malcolm reden. Vergiss, dass ich ihn überhaupt erwähnt hab. Jetzt geht’s um was ganz anderes, wir müssen dich irgendwo an einem sicheren Platz abladen. Wenn du mir ständig nachläufst, wirst du aufgefressen. Todsicher. Also, Dussel, das is der Plan. Wir suchen ein neues Zuhause für dich.
Noch einmal späht sie durch das Fernglas zum Horizont. In der Ferne bemerkt sie ein schwarzes Auto auf der Straße, auf der auch sie in die Stadt gekommen ist.
Schau an. Ich hatte doch gleich so ein komisches Gefühl. Du musst immer auf deinen Bauch vertrauen, das is das Wichtigste überhaupt.
Durch das Fernglas beobachtet sie, wie der Wagen hinter einem Hügelkamm verschwindet.
Verstehst du, eigentlich kann das irgendjemand sein – aber weißt du, was mein Bauch mir sagt? Mein Bauch sagt mir, das is mein alter Freund Moses Todd, der noch eine Rechnung mit mir offen hat. Keine Ahnung, wie er es schafft, mir auf den Fersen zu bleiben, aber diese Jungs aus dem Süden sind zu allem fähig. Sitzen einfach rum und warten, bis jemand ihren Bruder um die Ecke bringt, damit sie einen Rachefeldzug starten können. Für die is das so was wie eine Berufung.
Sie schiebt das Fernglas zusammen und steckt es zurück in die Tasche. Dann wirft sie noch einen letzten Blick auf den Sonnenuntergang; er macht wirklich ganz schön was her.
Sie verlässt die Stadt in nördlicher Richtung und weicht in schneller Fahrt Schaben aus, die mitten auf der Straße dahinstapfen. Dem großen Kerl, der zusammengesunken neben ihr sitzt, scheint es zu gefallen, dass sie Lieder summt. Er lächelt zwar nicht, und sie weiß nicht einmal, ob er überhaupt lächeln kann, aber in seinen Augen erscheint der Ausdruck eines fast schon in den Schlaf gewiegten Kindes.
Die nächste Stadt, die sie erreichen, ist groß und wirkt wie etwas Organisches. Dicht überwuchert ist sie unter dem schattigen Baldachin dürrer Eichen in die Wildnis früherer Zeiten zurückgeglitten. Von den Bäumen wachsen lange, fast bis zum Boden reichende Bärte aus Dschungelmoos, deren weiße Zipfel in der Brise schweben. Wie Zweige von Ästen gehen von den Hauptavenuen rissige Asphaltstraßen aus, die zuletzt schmalen Ziegelgassen weichen. Brüchige Barbecuebuden mit zerschlissenen Fliegentüren und eingestürzten Dächern ducken sich hinter weiße Kolonialbauten mit vorgelagerten dichten Efeutoren, die ihrerseits von Einkaufszentren und niedrigen Parkgaragen verborgen werden. Im Stadtzentrum ist ein Platz, auf dem sich offenbar ein letzter Showdown abgespielt hat. In einem riesigen, längst ausgetrockneten Marmorbrunnen türmen sich bis auf die Knochen ausgeweidete, schwarz verwitterte Leichen. In der Mitte des Brunnens ragt eine Engelsstatue auf, deren Flügel ungebrochen zum Himmel deuten und um deren Hals ein Toter hängt, als wollte er mit ihr hinauffahren. Allerdings fehlt seine untere Hälfte ab der Taille, und er sieht aus wie eine lächerliche Handpuppe, die in achtloser Profanität über etwas Heiliges geworfen wurde.
Die Stadt ist fest in der Hand der Schaben. Temple muss abbremsen, um sie nicht zu überfahren, aber dennoch immer in Bewegung bleiben, damit sie sich nicht zusammenrotten.
Im Zentrum herrscht groteskes Gedränge. Einige von ihnen trampeln zu zweit oder zu dritt dahin, manchmal sogar Hand in Hand wie Liebespaare. Langsam und breit, die Vorderseite blutverkrustet, stolpern sie über die knochigen Überreste verzehrter Leichen. Ihre Gesten sind sinnlos, aber mit primitivem Instinkt greifen sie auf frühere Lebensmuster zurück. Ein schwarzgekleideter Fleischsack mit Priesterkragen hebt die Hände zum Himmel, wie um den Gott der Toten anzurufen, während eine verwesende Frau im Brautkleid mit gespreizten Beinen an einer Wand sitzt und sich mit dem Spitzensaum über die Wange streicht. Eine Ansammlung von Widerlichkeiten und Perversitäten, wie Temple sie noch nie erblickt hat. Eine armlose Schabe, die sich an den aufgedunsenen Bauch einer noch frischen Leiche schmiegt und an den entblößten Eingeweiden saugt wie ein Ferkel an der Zitze einer Sau. Die Verzweifelten und Heimgesuchten, dazu getrieben, sich Nahrungsquellen jenseits des für sie Üblichen zu erschließen. Eine Horde, die mit bloßen
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