Nach dem Ende
farbenprächtigen Kleidern heraustritt. Jedes Mal, wenn es so weit ist, klatscht Mrs. Grierson in die Hände und lächelt strahlend, bevor sie heranrauscht, um verschiedene kleine Anpassungen an dem Kleidungsstück vorzunehmen, das Temple unweigerlich falsch angezogen hat.
Das ist das zweite Mal in einer Woche, dass Temple von einer Frau kostümiert wird. Sie kann es nicht leiden, aber sie lässt es über sich ergehen, weil sie Mrs. Grierson für sich einnehmen will, in deren Schuld sie schon bald stehen wird.
Wie reizend! Mrs. Grierson ist ganz begeistert. Bestimmt drehen sich alle jungen Männer nach Ihnen um.
Normalerweise bloß die, die man niederschlagen muss.
Ach, Sie kleiner Wildfang. Aber mir können Sie nichts vormachen. Ich weiß noch genau, wie es war, jung zu sein.
Wie war es?
Gefährlich. Bei Mrs. Grierson klingt das wie etwas Positives. Natürlich hat sich das Gefährliche in ihrer Jugend darauf beschränkt, zu spät nach Hause zu kommen, heimlich Whiskey aus der elterlichen Bar zu schlürfen oder in der Gartenlaube einen Jungen zu küssen, während ein anderer vorn auf der Hollywoodschaukel wartete.
Beim Abendessen sitzen alle um einen riesigen polierten Tisch im Speisesalon. Mrs. Grierson hat das obere Ende der Tafel inne. Links von ihr sind zwei Plätze für die Grierson-Brüder gedeckt, rechts zwei Plätze für die Gäste. Temple ist für den Anlass in einem pfirsichfarbenen Taftkleid herausstaffiert, und das Haar sitzt ihr kunstvoll aufgetürmt auf dem Kopf.
Mr. Grierson ist leider immer noch durch seine Krankheit verhindert, erklärt Mrs. Grierson. Maisie soll ihm einen Teller auf sein Zimmer bringen.
Wenn er so hungrig is wie ich, wird es ihm ziemlich egal sein, in welchem Zimmer er sein Futter kriegt. Umstandslos kippt Temple ihr ganzes Glas Eiswasser auf einmal hinunter.
Mrs. Grierson und ihr Sohn mustern sie, die Hände ordentlich im Schoß gefaltet.
Ups, sagt Temple. Tut mir leid. Schon eine Weile her, dass ich so vornehm diniert hab und alles. Nix für ungut.
Nichts, meine Liebe, verbessert sie Mrs. Grierson.
Temple wendet sich dem leeren Platz neben Richard Grierson zu. Wir warten wohl auf deinen Bruder?
James wird gleich herunterkommen, versichert ihr Mrs. Grierson.
Kaum hat sie diese Worte gesprochen, als sich die Türen des Speisesalons öffnen. James Grierson tritt ein und lässt sich auf den Stuhl neben seinem Bruder fallen.
James, wir haben Gäste, bemerkt Mrs. Grierson.
Quakquak, sagt James.
Es besteht kein Zweifel, dass er der Ältere der beiden ist. Nicht aufgrund von körperlichen Merkmalen, sondern wegen des spirituellen Gewichts, das er mit sich herumschleppt. Er ist blasser als sein Bruder und strahlt etwas Dunkles aus, wo dieser hell leuchtet. Seine Augen sind eingesunken und müde und haben all die naive Würde von Richards Blick verloren. Trotzdem ist er auf eine bittere Weise attraktiv – der Typ Mann, der Temple vor Neugier und Betroffenheit in Aufruhr versetzt.
Sarah Mary, möchten Sie das Tischgebet sprechen?
Oh, ähm, lieber nicht, Mrs. Grierson. Ich bring immer die Worte durcheinander.
Also übernimmt Richard: Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen, denn das ist der Wille Gottes für euch.
Amen.
Temple schließt sich Mrs. Grierson mit einem eigenen Amen an.
Und Jesus sei gepriesen, dass wir noch nicht tot sind, sagt James Grierson. Mit einem Blick auf seinen Bruder fügt er hinzu: einige wenigstens.
James, mahnt Mrs. Grierson.
Temple hat in ihrem ganzen Leben noch nie so gut gegessen. Gesalzenes Huhn und Klöße, ein knuspriger Maisauflauf, grüne Bohnen mit Pilzen und Röstzwiebeln obenauf, Maisbrot und als Nachtisch einen Peach-Cobbler, bei dem sie am liebsten den Teller mit dem Finger auswischen würde, um auch noch den letzten Krümel zu ergattern.
Nun, Sarah Mary. Mit verächtlichem Unterton zieht James ihren Namen in die Länge. Wo kommst du her?
Von drüben aus Statenville, James, antwortet Mrs. Grierson an ihrer Stelle.
Tatsächlich? Magst du Statenville?
Geht schon so.
Ich wusste gar nicht, dass es dort noch Überlebende gibt.
Ein paar gibt’s noch.
Es muss schrecklich sein da draußen, wirft Richard ein. Dass ein Mädchen wie du solchen Monstrositäten ausgesetzt ist. Diesen … Wesen. Er erschauert.
So schlimm sind die gar nich. Sie machen das, wozu sie da sind. Wie wir alle, schätz ich.
Sind sie dazu da, Kindern die Gedärme herauszureißen? James klingt bitter. Sind sie dazu da, mit
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